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Wird der Tourismus wirklich grün?

Der Trend geht zum Öko-Urlaub, und die Reisebranche kommt besänftigt daher: Mit kleinen Öko-Sanierungen schafft die Branche zufriedene Öko-Kunden und Vertrauen in ihr Produkt der Zukunft mit Wachstumsgarantie  ■ Von Christel Burghoff

Mit NUR fing es im Herbst 1989 an: Der Großveranstalter gab auf einer Pressekonferenz bekannt, daß er sich künftig um die Umwelt kümmern wolle. Was NUR vorhatte, war zwar bescheiden (man plante ein hauseigenes Gütesiegel, um damit Zielorte mit aufgeräumten Stränden, Kläranlagen und sicherheitstechnischen Einrichtungen zu kennzeichnen), aber das Umweltthema war damit aus seiner grünen Nische heraus.

Bald überrundete die TUI den Vorprescher mit einem eigenen Öko-Spektakel: „TUI ist nicht Greenpeace, aber wir packen es an!“ Auf der Internationalen Tourismusbörse 1992 präsentierte sich so der neue Umweltbeauftragte des Konzerns, Dr. Martin Iwand, gemeinsam mit seinen Mannen, den „glorreichen Sieben“. Sie sind allesamt der Konzernspitze zugehörig und durch ein „Umwelt-Netzwerk TUN!“ verbunden. Fazit dieser Vorstellung: Auch TUI kümmert sich um die Umwelt. Natürlich nicht skandalisierend wie bei Greenpeace – der Konzern plant praktisch und positiv in eine ökologisch saubere Zukunft hinein. Er propagiert leichtverdauliche Öko-Sanierungen: Putzmittel-, Energie- und Wassersparmaßnahmen, die Hotelküche frisch, gesund und leicht ... Mit dem Verzicht auf Thunfisch, Froschschenkel, Schildkrötensuppe oder wertvolle Pilze wird Verbundenheit mit weltweiten Artenschutzprogrammen demonstriert. TUI setzt auf die kleine saubere Welt in Clubs und Hotels.

Jüngst machte LTU Schlagzeilen: In eigens dafür ausgeteilten 35-Liter-Öko-Beuteln wird der anorganische Müll deutscher Urlauber von den Malediven zurücktransportiert. Das „grüne Buch der Touristik“ – eine brandneue Dokumentation aus dem Hause des Umweltministers Töpfer – verzeichnet jetzt knapp dreißig Großveranstalter, Hotelketten, Verbände und andere Interessengemeinschaften im Tourismus, die auf grüne Aktionen setzen. Das beeindruckende Kompendium reicht vom ADAC, der die „umweltgerechte Autobahnraststätte“ propagiert, bis zum Deutschen Reisebüroverband, der einen Umweltpreis für „vorbildliche Umweltprojekte in Zielgebieten“ auslobt. Damit ist der Branche das Wohlwollen der umweltbewußten Öffentlichkeit sicher. Zumal Öko- und Tourismuskritiker von einst auch klarmachen, wo ihr Interesse liegt: Sie sind auf demselben Trip. Hatte man früher noch die Expansionsgelüste der Tourismusindustrie thematisiert, so wird heute an Öko-Idyllen für Touristen gebastelt. Die Grenzen der Wachstumsindustrie sind generell kein Diskussionsthema sanfter Touristiker mehr. Man setzt auf ökologisches Marketing, auf angepaßtes touristisches Verhalten und wirbt für umweltschonende Urlaubsprodukte. Mit Öko-Gütesiegeln arbeiten Naturschützer der Branche direkt zu.

Diese Entwicklung hat zwar die Kritik touristischer Fachleute herausgefordert. Eine „unheilige Allianz“, so der Schweizer Forscher Hansruedi Müller zu den Öko- Emblemen. Tatsächliche Erfordernisse im Umweltbereich vermischten sich mit Profilierungsmöglichkeiten für eifrige Naturschützer und rationalen Überlegungen cleverer Marktstrategen ... Aber die cleveren Marktstrategen sind zufrieden.

Offen gibt sich TUI-Mann Iwand als guter Geschäftsmann zu erkennen: Wenn Bettwäsche zu Putzlappen recycelt wird oder Schafe jetzt Rasenmäher ersetzen, dann spart das Umweltengagement Kosten und bedeutet darüber hinaus preiswerte Werbung für den Veranstalter. Aber auch am Produkt und am Service kann guten Gewissens gespart werden: Es wird – wenn es denn der Umwelt dient – haushälterisch abgespeckt. Minister Töpfer selbst ist von diesem betriebswirtschaftlichen Kurs angetan, so im Geleitwort zum „grünen Buch“ nachzulesen. Im Klartext heißt das jedoch: Nicht die effektive Entlastung für die Umwelt wird honoriert, sondern die Bereitschaft der Branche, das Umweltthema marktgerecht zu nutzen.

Es gehört zum guten Ton, sich umweltverträglich zu geben. Kein Unternehmen in der Branche kann es sich heutzutage noch leisten, auf das Umweltthema zu verzichten. Marktbeobachter haben es lange vorausgesagt: Öko liegt im Trend. So sollen sich doch nach den Aussagen der Mutter der Trendforschung, Faith Popcorn, schon fast die Hälfte der US- AmerikanerInnen irgendwie umweltgerecht verhalten. Popcorn prognostiziert einen steigenden S.O.S. (Save Our Society)-Trend. Immer mehr Menschen wollen durch gesundes Leben immer länger leben – auch ein Trend, den sie sieht. Auf Anbieter, die es verstehen, die Trends mit einschlägigen Konsumangeboten zu bedienen, warten, so Popcorn, lauter Goldgruben.

So ist die „Nachfrage“ nach Öko riesig, und ein Ende des Handlungsbedarfs ist nicht abzusehen. Zeitgeistseismograph Matthias Horx hat den deutschen Öko- Trend beobachtet und stellt flapsig fest: „Ökolozismus, erster Akt: Das war der Weihrauch der Kampagnen, in deren Nebel die Wirklichkeit verschwand, um als ökologisch runderneuertes Familienidyll wiederzukommen.“ Gesund kaufen, buchen, urlauben, sich fürs Naturidyll erwärmen, sich ökogerecht verhalten, sparen, säubern, sammeln, sortieren, auf Plaste- Portionsdöschen verzichten und statt dessen selbstgemachte Marmelade aus dem Gemeinschaftstopf löffeln ... Horx wird nicht falschliegen, wenn er meint, daß das wichtige Öko-Thema auf ganzer Linie entwertet ist.

Sicher wird der Tourismus nicht grün – er modernisiert sich. Wie von Zauberhand bringt er immer neue Angebote hervor. Denn wo gereist wird, bietet die Branche ihr spezifisches Produkt an: die touristische Wunschwelt. Der touristische Markt funktioniert über den Verkauf von Ersatzwelten. Er verkauft den schönen Schein der Freiheit jenseits der schnöden Arbeitswelt, die Illusion von Spielräumen jenseits gesellschaftlicher Normen und Sanktionen, er handelt mit dem Sonnenschein südlicher Gestade, er stimuliert die Sinnlichkeit und macht Lust auf mehr von alledem. Wenn jetzt sogar ein Konzern wie die TUI verheißungsvoll verkündet, daß sie sich auch um jeden (Umwelt-)Dreck kümmert, dann schmilzt nicht nur die überlastete Hausfrau vorm kongenialen Charme des Umweltbeauftragten dahin.

Es ist die geschickte Haltung, sich einverständig mit der Umweltthematik zu zeigen, die der Branche Seriosität verliehen hat. Sie propagiert das Hier und Jetzt des Machbaren im großen Umweltdesaster. Auch Aufmerksamkeitsgesten schaffen Vertrauen. Vertrauensvoll können ökosensible Urlauber ihr Umweltgewissen beim Großkonzern abgeben, wird suggeriert. Unbeschwerte Tage im Urlaub zu liefern – dies ist das Geschäft, auf das sich die Tourismusindustrie versteht. Produktdifferenzierung ist längst angesagt – warum nicht mit grün getünchtem Seelenfrieden?

Wo es eng wird in der Landschaft, wo die touristischen Zerstörungen nicht zu übersehen sind, wo die Alpen verdrahtet, die Küsten verbaut sind, wo die Strände verdreckt sind, werden heute kleine Öko-Häppchen serviert. Die Branche hat Öko erhört und weitergeleitet: an Designer, Werber, Vermarkter, Umweltbeauftragte. Sie regiert mit Goodwill und haushälterischen Sparprogrammen. Dabei ist eigentlich allen Beteiligten längst klar, daß die Umwelt Geld kostet. Und zwar viel Geld. Denn Öko-Innovationen müssen finanziert, Altlasten beseitigt oder saniert werden. Allein Meßreihen für Luftimmissionen oder Wasserbelastung kosten kleine Fremdenverkehrsgemeinden heute schon horrende Summen. Aber wer reinvestiert in die natürlichen Grundlagen der touristischen Branche? Wer trägt die Kosten? Die touristische Expansion geht weltweit weiter. Tourismus ist die größte Wachstumsindustrie.

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