: Unterm Strich
Aber wohin geht er denn nun eigentlich, der Trend 2000? Jedenfalls nicht zurück zur Kirche, wie der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in seiner Osterpredigt beklagte. Seine Eminenz sieht in Deutschland vielmehr einen „zunehmenden Unglauben“ am Werke. Für ihn sei es daher kein Wunder, daß „die Bestattungsinstitute mehr Arbeit haben als Geburtskliniken“. Eine Welt ohne Gott sei nämlich unmenschlich und damit lebensfeindlich. Kinder würden in einer solchen Welt nur noch „gemacht“ oder wieder „weggemacht“. Die Kinder aber hören Death- Metal und freuen sich. Auch der Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt (womöglich ein Bruder des Politbarden?) zeterte vor seinen Schäfchen über die Segnungen der Biologie: Wer an der Auferstehung Jesu als „Kern des christlichen Glaubens“ nicht festhalte, habe faktisch die Verbindung mit Jesus Christus verloren. Das klingt schwer nach Grunge-Ideologie, wenn man etwa an Soundgardens ultramega-okayes „Jesus Christ Pose“ oder den einsamen Lamento-Blues von Pearl Jam denkt. Degenhardt stellte noch einmal klar, daß der Tod Jesu „nicht ein zusammenhangloser Zufall“ sei, sondern ein Ereignis, in dem sich Worte der Heiligen Schrift erfüllten. Kern der Osterbotschaft sei, daß die Überwindung des Todes „in der Tat möglich und wirklich ist“ – nicht durch „verfeinerte klinische Methoden, sondern allein durch die schöpferische Macht Gottes“.
Ein bißchen lustiger sah die Predigt des Bischofs der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper, aus. Als schwäbische Frohnatur und verkappter Fan der Fantastischen Vier rief er die Christen dazu auf, die Osterfreude nicht zu vergessen: Die heute verbreitete Freudlosigkeit in der Gesellschaft und die Jammerseligkeit in der Kirche seien Ausdruck einer menschlichen Zerrissenheit und einer tieferen Glaubenskrise. Besonders bei den Deutschen gebe es gegenwärtig „des Jammerns kein Ende“, so der Kirchenmann beim Freestyle-Rap auf der Osterparty seiner Gemeinde. Daneben hört sich die Botschaft von Bischof Anton Schlembach aus Speyer fast wie ein Plädoyer für Ambient- und Acidhouse an. Nach seinen Worten motiviert das Fest zu mehr Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Friedfertigkeit. Der auferstandene Jesus Christus sei ein „Hoffnungsmodell für den ganzen Kosmos“, so Schlembach auf einer Kundgebung zum österlichen Chill-Out im Dom zu Speyer.
Aber auch den Dancefloor läßt das Fortschreiten der Menschheit nicht in Ruhe: Nachdem das Frankfurter Techno-Label Force Inc. sich mit fusseligen und hauptsächlich harten Gabbersound- und Breakbeat- Stücken zu postmodernen Tanzstrukturalisten hochgemixt hatte, werkeln die Hessen inzwischen am Party-Rhizom: Für die kommende Rave-Saison sind Disco-Versionen der Texte von Guattari/Deleuze auf dem Unterlabel „Mille Plateaux“ geplant.
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