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Dem Trend einen Schritt voraus?

Ein Gespräch mit dem Duisburger Sprach- und Sozialwissenschaftler Siegfried Jäger über die Berichterstattung des Münchner Wochenblatts „Focus“  ■ Von Franco Foraci

Bücher wie „BrandSätze – Rassismus im Alltag“, „SchlagZeilen – Rassismus in der Presse“ und „Die vierte Gewalt – Rassismus und die Medien“ haben das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) bundesweit bekanntgemacht. Dessen Leiter, Prof. Siegfried Jäger, will den Methoden und Techniken xenophober Tendenzen in der veröffentlichten Meinung nachspüren und sie wissenschaftlich belegbar festhalten. Sein besonderes Interesse gilt der Berichterstattung des Hamburger Boulevardblattes „Bild“, dem er eine „völkisch-nationale Law-and- order-Gesinnung“ nachweisen kann. „Bild“ präge mit seiner Millionenauflage das Alltagsbewußtsein im Land und wirke nicht nur als wichtiger politischer Stichwortgeber, sondern auch als „Applikationsvorlage“ für andere, vorgeblich seriösere Medien. Das ein Jahr alte Münchner Magazin „Focus“ (Auflage 490.000) schlage häufig, so Jäger, in die gleiche rassistische und polarisierende Kerbe wie die „Bild“-Zeitung.

Das neuste DISS-Buchprojekt „Aus der Werkstatt: Antirassistische Praxis – Konzepte und Forschungen“ wird voraussichtlich im Herbst erscheinen.

taz: Dem Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ macht „Focus“ schwer zu schaffen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Siegfried Jäger: Wenn man es formal betrachten will, ist das ein ganz normaler Fall von Konkurrenz. Aber „Focus“ ist nicht irgendein Konkurrent, sondern die selbsternannte rechtskonservative Antwort auf das Augstein-Blatt. Es liegt auf der Hand, daß der Erfolg von „Focus“ mit dem in die politische Mitte reichenden Rechtsruck unserer Gesellschaft einhergeht.

Ist „Focus“ die intellektuelle Speerspitze der Rechten?

So plakativ formuliert wäre das sicherlich falsch. Tatsache ist, daß „Focus“ – wie die „Bild“-Zeitung – durch seine Berichterstattung und auch sprachlich dazu beiträgt, den latenten Rassismus in Deutschland publizistisch zu integrieren und salonfähig zu machen.

Rechte bis rechtsradikale Meinungen werden heute offensiver und unverblümter vertreten und wiedergegeben. Vollzieht sich in der Publizistik eine Wende?

Dieser Trend, den Sie völlig richtig beschreiben, vollzieht sich spätestens seit Mitte der Achtziger nicht nur in den Medien, sondern auch im Politikerdiskurs. Wörter, Begriffe, Inhalte, Aussagen, Argumente, die man bis dahin vorwiegend in rechtsextremen Zeitschriften las, finden sich nun auch in der Mitte der Publizistik bis weit in die Mitte-Links-Publikationen. Wir haben es nicht mit einer Rechtsdrift der politischen Landschaft in dem Sinne zu tun, daß der rechte Flügel tatsächlich mehr Macht gewonnen hätte.

Aber es gibt eine deutliche Tendenz zur Übernahme von rechtsextremen Ideologemen, von rechtsextremen Versatzstücken, die peu à peu gesellschaftlich salonfähig gemacht wurden. Das gilt insbesondere für Magazine wie „Focus“, aber auch für den „Spiegel“ und andere Publikationen.

Man könnte das als bloße Behauptung abtun.

Was ich sage, läßt sich in den sprachwissenschaftlichen Studien unseres Instituts belegen. Nach den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen haben wir zum Beispiel eine Querschnittsanalyse der betreffenden Artikel durch alle halbwegs bekannten Printmedien vorgenommen. Es zeigte sich, daß der Tenor „Ausländer raus“ in allen Zeitungen vorkam – bis hinein in die seriösesten oder sich seriös gerierenden Blätter.

Die erste Februarausgabe von „Focus“ war dem „Tabuthema Nummer eins: Ausländerkriminalität“ gewidmet. Ist die Art der Berichterstattung über Einwanderung und Flüchtlinge in diesem „Focus“-Artikel methodisch mit der der „Bild“-Zeitung vergleichbar?

Durchaus. Der Artikel, auf den Sie ansprechen, ist zwar natürlich sehr viel länger als Artikel, die man in der „Bild“-Zeitung zu solchen Themen findet. Er gerät aber von der Aussage her schon sehr dicht an die Methoden des Hamburger Boulevardblattes heran. Dieser „Focus“-Artikel endet unter Hinweis auf den englischen Philosophen Thomas Hobbes und dabei mit der direkten Nahelegung, jetzt gegen die „organisierte Kriminalität“ der Ausländer das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Im Grunde also mit dem Aufruf zur Selbstjustiz.

Thomas Hobbes wird mit den vor 350 Jahren verfaßten Worten zitiert: „Die Verpflichtung der Bürger gegenüber dem Souverän kann nur so lange dauern, als dieser imstande ist, sie zu schützen.“ „Focus“-Autor Michael Klonovsky fügt hinzu: „,Ist der Staat dazu nicht mehr in der Lage‘, so Hobbes, ,gilt das natürliche Recht der Menschen, sich selbst zu schützen.‘“ Das ist der Schlußsatz unter einem vorgeblich sachlich strukturierten Text. Beim Leser bleiben Ressentiments hängen. Der Staat tut nichts, also wehrt euch selber. Offener ist eine Anstachelung zur Militanz und zur Gewalt gegen Ausländer fast nicht möglich.

Der deutsche Presserat hat 1993 22 Publikationen wegen ausländerfeindlicher Berichte gerügt. Bei den bisher vorgebrachten Beschwerden 1994 ist „Focus“ weiterhin nicht dabei.

Anscheinend hat niemand protestiert. Dieses Gremium kann – wie Sie wissen – nur auf von außen herangetragene Beschwerden reagieren, es darf nicht selbst tätig werden. „Focus“ versteht es, auch in dem betreffenden Artikel, die rassistische Botschaft der Selbstjustiz geschickt zu verpacken.

Die „Analyse zum deutschen Tabuthema“ weist einen pseudowissenschaftlichen Aufbau auf: Es beginnt mit einer Abfolge von scheinbar legitimen Argumenten („Trotz Mölln und Solingen: Das Thema kann nicht länger tabuisiert werden [...] Die Kriminalitätsbelastung [der Ausländer] erscheint um ein Fünffaches höher als die der Deutschen“) und Gegenargumenten („Gegen diese Rechnung gibt es begründete Einwände...“). Dann wird die Ausländerkriminalität einzelner Gruppen angegangen. Plötzlich wird quasi als Zwischenfazit gesagt, die wirklich Bösen sind die Nichtseßhaften. Dahinter steckt natürlich auch eine Botschaft: Wir müssen diese Menschen abschotten. Die Ausländer, die hier leben, können bleiben, aber darüber hinaus dürfen wir keine mehr hereinlassen.

Bedrohungsängste werden im folgenden weiter hervorgerufen, indem die organisierte Kriminalität thematisiert wird. Der Autor wartet mit einer Fülle von Beispielen auf. Das ominöse Wort „multikulturell“ fällt. Die kriminellen Ausländer seien alle viel brutaler als die deutschen Kriminellen, heißt es da, das Thema Mafia taucht auf. Ein seriös klingender Bezug auf den Hans Magnus Enzensberger wird eingestreut, um dem rassistischen Horrorgemälde das intellektuelle Gewand zu erhalten. Kurz vor Schluß ein zweites Fazit, gestützt von Zahlenspielereien einer angeblich seriösen Studie von Jochen Kummer aus dem rechtslastigen Ullstein- Verlag: Eine gesonderte statistische Erfassung der kriminellen Ausländer sei gerechtfertigt.

Nachdem die Arbeit der Zuspitzung geleistet worden ist, wildeste Aussoziationen geweckt wurden, kommt die Krönung des Ganzen, das totale Fazit – das Hobbes-Zitat mit dem Aufruf zur Selbsthilfe, wenn „der Staat uns nicht schützt“. Daß dieses Mosaik rassistischer Argumentationsketten ein halbes Jahr nach Solingen möglich ist, finde ich schon sehr erstaunlich. Die mangelnde Reaktion darauf in der Öffentlichkeit erschreckt um so mehr, weil sie ein Hinweis ist, wie sehr Rassismus bereits gesellschaftlich integriert zu sein scheint. Daß die Täter von Mölln und Solingen Deutsche waren, erwähnte „Focus“ nur am Rande – in einer einzigen Oberzeile. Werden die Opfer so nicht zu Aggressoren gemacht?

Man kann das schon so sagen, obwohl ich immer etwas Schwierigkeiten habe mit diesen sehr kurzen Formulierungen wie „Opfer zu Tätern“. Klar ist jedenfalls, daß hier die Ausländer wieder zu dem „Problem“ gemacht werden. Eine ganze soziale Gruppe wird als Verursacher hingestellt. Durch die ständigen sprachlichen und inhaltlichen Bezüge zu Kriminalitätsphänomenen der potentiellen Opfer werden die wahren Täter entschuldigt. „Focus“ ist dabei sogar einen Schritt weitergegangen, das Blatt hat zur Gewalttat offen aufgefordert.

Warum kann gegen „Focus“ aufgrund der Februargeschichte mit ihren, wie Sie sagen, volksverhetzenden Inhalten juristisch kaum vorgegangen werden?

Weil die Praxis der Auslegung dieses Begriffs noch immer zu schwammig ist. Der Tatbestand von Diskriminierung und Volksverhetzung müßte meines Erachtens gesellschaftlich neu überdacht werden. Wir haben heute im sprachwissenschaftlichen Diskurs eine Interpretation dieser Tatbestände, die völlig antiquiert ist. Sie müßten sehr viel schärfer und differenzierter gefaßt werden. Also wenn ich zum Beispiel sage, die „Bild“ und „Focus“ betreiben Volksverhetzung, dann weiß ich genau, daß das im Sinne der heutigen Rechtslage so nicht stimmt. Ich kann es nur vor dem Hintergrund unseres diskursanalytischen Ansatzes behaupten. Wir können die Auswirkungen dieser Art der Presseberichterstattung äußerst präzise fassen und wissen, was in den Köpfen der Leute passiert, wenn sie so etwas lesen, und zu welchen Bewußtseinsveränderungen sowie Handlungsbereitschaften das führen kann.

Wie wir kürzlich aus einem Oberlandesgerichtsurteil erfahren mußten, kann man sich auf der jetzigen Grundlage der Gesetzgebung sogar bei der „Auschwitz- Lüge“ ziemlich schnell herauswinden.

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