: Doch eine Verschwörung in Mexiko
■ Der Mörder von Kandidat Colosio war kein Einzeltäter
Berlin (taz) – Die traditionellen neun Tage Trauer sind vorbei – nicht aber die Ermittlungen im Mordfall Luis Donaldo Colosio, und erst recht nicht die Spekulationen. Am 23. März war der Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei PRI bei einer Wahlkampfveranstaltung im nordmexikanischen Tijuana durch zwei Schüsse in Kopf und Bauch getötet worden. Das Attentat scheint derzeit geeignet, ein mexikanischer Kennedy-Fall zu werden.
Nachdem es unmittelbar nach dem Anschlag hieß, der Mord sei einem Einzeltäter zuzuschreiben, haben die mexikanischen Ermittlungsbehörden jetzt neue Ergebnisse präsentiert: Mindestens sieben Personen seien beteiligt gewesen, sagte Sonderstaatsanwalt Miguel Montes Garcia am Montag in Mexiko-Stadt. Neben dem weiterhin als Haupttäter geltenden Mario Aburto Martinez wurden bereits vier weitere Männer verhaftet, zwei werden anhand von Fotografien und Videoaufnahmen von dem Attentat noch gesucht.
Einer der bereits Verhafteten ist Rodolfo Rivapalacio, ein ehemaliger hoher Beamter der Staatspolizei in Tijuana. Er ist Mitglied der PRI und war einer der Chefs der Sicherheitsgruppe, die für die Sicherheit Colosios bei der Veranstaltung in der Stadt sorgen sollte. Ehemaliger Polizeibeamter ist auch der ebenfalls verhaftete Vicente Mayoral Valenzuela. Er soll mitgeholfen haben, dem späteren Attentäter einen Weg durch die Menge zu bahnen, damit dieser nahe genug an Colosio herankäme. Verwandte des inhaftierten Haupttäters Aburto geben an, Mayoral habe den 23jährigen für das Attentat rekrutiert. Verhaftet wurde auch der Sohn Mayorals: Er soll die Leibwächter Colosios behindert haben. Laut Sonderstaatsanwalt Montes Garcia soll er vor dem Attentat im Gespräch mit Aburto gesehen worden sein.
Und ob Aburto wirklich der alleinige Schütze war, ist auch nicht mehr sicher. Die ersten polizeilichen Verlautbarungen waren zwar davon ausgegangen; anhand der Videoaufnahmen wird jedoch bezweifelt, daß aus dem Winkel, in dem Aburto stand, der Bauchschuß abgefeuert worden sein könnte. Es wird daher erwogen, den Leichnam Colosios zu exhumieren.
So ist nun fast jeder in Mexiko zum Kriminologen geworden. Laut einer von der Tageszeitung El Financiero veröffentlichten Umfrage glauben 32 Prozent der Bevölkerung, die Regierungspartei PRI sei selber in das Attentat verwickelt. Immerhin war Colosio als ihr Präsidentschaftskandidat auch intern umstritten. Ganze Fraktionen innerhalb der Partei hatten gefordert, Colosio abzusetzen.
Zu allem Überfluß ist auch der Chefermittler Miguel Montes selbst ins Zwielicht geraten. Er habe eine alte Rechnung mit Colosio offen gehabt, heißt es: In der Zeit, als Colosio Vorsitzender der PRI war, habe er sich vergeblich um einen Gouverneursposten bemüht. Montes wolle nun das Mordkomplott verschleiern, klagt zum Beispiel der Menschenrechtsbeauftragte in Baja Californa, José Luis Perez Canchola, und listet eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen auf. Und an Vertuschung glauben viele. Ein mexikanischer Arbeiter: „Wir sind so lange belogen worden, warum sollten sie dieses Mal die Wahrheit sagen?“ Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen