piwik no script img

Die ängstlichen Inder von Durban

Unter den Indern in Südafrikas jetzt unter Ausnahmerecht stehender Provinz Natal kommen nach dem Ende des „alten Südafrika“ noch ältere Befürchtungen hoch / „Hier traut niemand mehr Mandela“  ■ Von Willi Germund

Sanft gewellte Hügel, soweit das Auge reicht. Kein schattenspendender Baum – statt dessen kilometerlange, schnurgerade Linien von meterhohem Zuckerrohr. Es ist das Land der südafrikanischen Zuckerbarone.

Das Haus in Pastellrosa auf einem der Hügel nahe der Stadt Stanger am Indischen Ozean unterscheidet sich in nichts von anderen Villen der Umgebung. Aber der 56jährige Parthabsing Bodasing gehört mit seiner indischen Abstammung zu den Exoten unter seinen überwiegend weißen Kollegen in der Provinz Natal. „Wir durften kein Land kaufen, um Zucker anzubauen“, erzählt er von den Jahren der Apartheid, „wir durften behalten, was unser Großvater gekauft hatte, aber erweitern konnten wir uns nicht.“

Das „neue Südafrika“ schaffte solche Vorschriften ab. Aber wenige Wochen vor den Wahlen sitzt der schlanke Mann in Khaki- Hemd, kurzer Hose und Sandalen so verzagt in seinem roten Plüschsessel wie manche seiner weißen Landsleute. Südafrikas eine Million Inder, eine Minderheit von 2,6 Prozent der Bevölkerung, fürchten, daß die Zukunft nicht besser wird als die Vergangenheit. Bodasing: „Wer weiß, was der ANC wirklich alles vorhat?“

Der Zuckerpflanzer will nicht ausschließen, daß er die Nationale Partei von Staatspräsident De Klerk wählen wird. „Ich habe nicht vergessen, was sie uns angetan hat“, sagt er, „aber ich ziehe den Teufel vor, den ich kenne.“

„All die Schwarzen ohne Land“

Der Vater einer Psychologin, der bei Stanger 220 Hektar bewirtschaftet, fürchtet um sein Land. Der Familie gehören 3.000 Hektar Zuckerplantagen – und alle Versicherungen von ANC-Führer Nelson Mandela haben Bodasing bisher nicht beruhigt. „All die Schwarzen ohne Land, die Forderungen nach Landreform – wie will der ANC das bewältigen“, fragt er. Die Sorge, daß er mit seinem Eigentum herhalten muß, steht ihm im Gesicht geschrieben.

Mahatma Gandhi höchstpersönlich mag vor genau 100 Jahren in Südafrika den „Indian National Congress“ gegründet haben, der zusammen mit dem ANC die Rassendiskriminierung bekämpfte. Aber selbst Charmaine Pillay, Redakteurin der linksgerichteten kleinen indischen Wochenzeitung The Leader, gesteht: „Ohne meine Überzeugungen würde auch ich nicht ANC wählen.“

Die 25jährige Frau wuchs in Chatsworth auf, einem riesigen Township bei Durban, in dem der Duft von Räucherstäbchen oft stärker ist als der Gestank der Autoabgase. Vier erleuchtete türkisfarbene Kuppeln eines Hindu- Tempels überragen die riesige Siedlung. Ein Einkaufszentrum voller Gewürzläden und Curry- Restaurants, eine Moschee und Frauen in knöchellangen Sarongs geben hier Südafrika die bunten Farben einer gemischten, von der weißen Minderheitsregierung jahrzehntelang unterdrückten Gesellschaft.

Die ersten Inder wurden 1860 von den Briten nach Natal gebracht. Ihnen folgten Händler, deren Erfolg bald die Weißen in Rage versetzte. Die Folge: Gesetze, die das Wahlrecht einschränkten und indische Geschäftsleute behinderten. Bodasing fürchtet, daß es unter einer schwarzen Mehrheitsregierung nicht anders aussehen wird.

Inder verdienen zwar durchschnittlich nur die Hälfte des Einkommens, das Weiße haben – aber immerhin dreimal mehr als schwarze Südafrikaner. Die Nachfahren der Landarbeiter sind heute überwiegend in Bürojobs und im Handel untergekommen. 78 Prozent leben in der Provinz Natal – hier stellen sie zwölf Prozent der Bevölkerung und werden damit zum Zünglein an der Wahlwaage. „Es gibt immer noch keine genauen Hinweise, wie die Mehrheit der Inder sich entscheiden wird“, sagt der Soziologe Yunus Carrim von der University of Natal in Pietermaritzburg.

„Wir Inder wurden während der Apartheid immer in der Nähe der Elendssiedlungen zwangsangesiedelt“, erzählt Charmaine Pillay, „deshalb waren wir auch immer als erste von Kriminalität und Gewalt betroffen.“ Das Township Phoenix bei Durban ist ein solches Beispiel. In Sichtweite liegt Bhambay – die afrikanisierte Form des Namens Bombay. Ein Slum aus Papp- und Wellblechhütten, in dessen Mitte die Reste des Hauses stehen, in dem einst Mahatma Gandhi lebte. „Viele Inder fürchten, daß sie die unmittelbaren Folgen von affirmative action und Umverteilungspolitik der neuen Regierung tragen müssen“, schreibt Carrim.

Affirmative action – positive Diskriminierung – bekommen sie schon jetzt zu spüren. „Viele Leute erhalten keinen Job mehr, weil Schwarze vorgezogen werden“, berichtet Bodasing von den Erfahrungen anderer Familien. In Cato Manor nahe Durban, 1949 Schauplatz eines Massakers von Schwarzen an Indern, fürchten die Bewohner, daß sich ein solches Pogrom wiederholen könnte. Ein indischer Geschäftsmann hatte einen schwarzen Jungen geschlagen; 250 Menschen starben während des folgenden Blutbads.

Unter den fast 15.000 Menschen, die seit 1990 in Südafrika der politischen Gewalt zum Opfer fielen, befand sich zwar allenfalls eine Handvoll Inder. Aber andere Erfahrungen bestärken das Mißtrauen der Bewohner von Cato Manor. Ende 1993 besetzten Bewohner eines schwarzen Elendsviertels Häuser in dem Viertel, die von Indern anbezahlt worden waren. Sie wurden inzwischen zwar wieder geräumt, aber in der indischen Gemeinschaft hat sich herumgesprochen, daß die Besetzungsaktion von einem lokalen ANC-Funktionär organisiert worden war. „In Cato Manor“, sagt Charmaine Pillay, „glaubt niemand mehr Mandela.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen