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Arschficks wie Kupferstiche arrangiert

Erst ab 18: Berlins erste große Tom-of-Finland-Retrospektive im Schwulen Museum  ■ Von Micha Schulze

Da hat der Meister wohl einen schlechten Tag gehabt: Schlaff wie eine Aldi-Tüte baumelt das beste Stück des Lederkerls im Wind, selbst das lüsterne Muskelpaket im Hintergrund der Zeichnung bringt es nicht auf die Höhe. Auf den Bildern ringsum steht alles wie gewohnt, da schieben aufrechte Männer mit Arschbacken wie Bowlingkugeln ihre Genitalien wie ungarische Salamis vor sich her. Kein Schwanz unter 40 Zentimeter.

Ein Mann des Realismus war Tom of Finland nicht, dem das Schwule Museum eine größere Retrospektive widmet. Pünktlich zum „Ostertreffen“ der schwulen Lederszene hat es rund 130 Zeichnungen, Gouachen und Skizzen des bekanntesten finnischen Künstlers einfliegen lassen. Den Großteil stellte die „Tom of Finland Foundation“ in Los Angeles zu Verfügung, die sich schon zu Lebzeiten des 1991 gestorbenen Schwulen zur Aufgabe gesetzt hat, sein Werk zu bewahren. Andere Stücke rückten deutsche Privatsammler als Leihgaben heraus.

Ob Tom of Finland alias Touku Laaksonen den „Inbegriff schwuler Erotik“ verkörpert, wie Wolfgang Max Faust 1989 in der Siegessäule lobhudelte, muß jeder Besucher selbst beurteilen. Auf jeden Fall haben seine Porträts von vögelnden Holzfällern, Cowboys, Soldaten und Matrosen eine selbstbewußte schwule Identität mitgeprägt. Der finnische Lehrersohn gehörte zu den ersten Künstlern, die in den fünfziger, sechziger Jahren Homosexualität nicht verschämt, sondern lustvoll darstellten, die den Arschfick nicht verschwiegen, sondern dreist in den Mittelpunkt von Zeichnungen stellten. Und die Typen kamen an. Mit der Folge, daß sich bis heute Heerscharen von Homos in Fitneßstudios abrackern, um so auszusehen wie die Kerle von Tom.

Die Ausstellung ist damit mehr als eine Ansammlung von Kunst, sie dokumentiert ein wichtiges Kapitel schwuler Geschichte.

Umstrittenes Faible für die Nazi-Ästhetik

Doch dem pornographischen Gehalt der Bilder wird die Exposition allenfalls durch das Besuchsverbot für Jugendliche gerecht. Artig hängt ein Werk neben dem anderen, als ob es sich um Kupferstiche von Albrecht Dürer handelt. Tom of Finland, der stets nackt zum Bleistift griff, wollte mit seinen Bildern sich selbst und die Betrachter stimulieren. Ein Sling an der Decke, ein paar Peitschen an der Wand hätten sich gut zwischen den Zeichnungen gemacht.

Immerhin gelang es, drei von Toms Fetischen nach Berlin zu holen: ein Paar finnische Holzfällerstiefel, die in den frühen Werken immer wieder auftauchen, seine Ledermontur und seine Uniform aus dem Zweiten Weltkrieg, umrahmt von Zeichnungen geiler SA- Männer. Toms Faible für Naziästhetik klammert das Schwule Museum nicht aus – ein Thema, das jede Homogruppe alle drei Jahre an den Rand der Spaltung bringt. Tom of Finland selbst sah es pragmatisch: „Die ganze Nazi- Ideologie, der Rassismus, ist mir verhaßt, doch trotzdem habe ich sie zeichnen müssen, sie hatten einfach die geilsten Uniformen.“

Pragmatisch muß man wohl auch Toms künstlerische Entwicklung nennen. Während sich die Motive (Ficken im Wald, unter der Dusche, in der Umkleidekabine) kaum änderten, wurden im Laufe der Jahre die Schwänze immer größer, verloren die Gesichter die Konturen, verschwand die Ironie. Welcher kleine Spott steckt noch in der Zeichnung aus den Fünfzigern, auf der zwei Kerle zwischen einem Lastwagen vögeln und einer freudig ein Ölkannchen in die Höhe hält.

Überraschungen bergen lediglich die ausgestellten Fotos, die ein völlig neues, softes Bild auf den Künstler werfen. Das schönste stammt aus dem Jahr 1924 und zeigt den vierjährigen Tom beim Hühnerfüttern. Das nennt man Ausgewogenheit: Im Schwulen Museum kommt neben dem Lederkerl auch der Päderast auf seine Kosten.

Die Tom-of-Finland-Retrospektive ist noch bis 26.6. zu sehen, mittwochs bis sonntags 14–18 Uhr, Schwules Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg.

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