"Heilige Allianz"

■ Die französischen Medien haben sich für einen Abend zusammengetan: "Gemeinsam gegen Aids", 20.50 Uhr, arte

Man stelle sich vor, Dieter Stolte, Jobst Plog und seine zehn ARD-Intendantenkollegen verständigten sich mit Helmut Thoma, Jürgen Doetz, Georg Kofler und den anderen Chefs unserer privaten Fernsehsender auf ein und dasselbe Abendprogramm. Und obendrein entsagten dabei alle auch jeder noch so kleinen lukrativen Werbeinsel oder rentierlichen Sponsoren-Einblendung. Ausgeschlossen! Angesichts verbissener Konkurrenz und kurzatmiger Quotenjagd hätte bis vor einem Vierteljahr auch im Nachbarland Frankreich jeder die Wette gehalten, daß es zu einem solchen Schulterschluß nie kommen würde. Und verloren.

Der Beweis wird heute erbracht, und weltweit können rund 100 Millionen potentielle Zuschauer am Bildschirm Zeugen dieser ungewöhnlichen Fernsehpremiere sein: Ab 20.50 Uhr bis nach Mitternacht präsentieren jenseits des Rheins die sechs kommerziellen und öffentlich-nationalen TV-Sender den gemeinschaftlich gestalteten Superthemenabend „Tous contre la Sida“/„Gemeinsam gegen „Aids“. Dazu kommt das gute halbe Dutzend Stationen der französischen Départements und Territorien in der Karibik und im Pazifischen Ozean, der in Kanada ebenso wie der bei uns zu empfangende frankophone Kanal TV 5 und auch die Sender Belgiens. Deutschland ist durch den multinationalen Kulturkanal arte beteiligt. Im Anschluß an die Abendnachrichten übersetzen und kommentieren Simultandolmetscher und Studioredakteure die Übertragung in den deutschsprachigen Raum.

Zuwege gebracht haben diese „heilige Allianz“, wie die französische Presse in seltener Einigkeit nunmehr das „historische“ Medienereignis seit Wochen preist, der Aids-Forscher Luc Montagnier und die Sängerin Line Renaud. Sie ist Vorsitzende des Vereins „Künstler gegen Aids“ und fungiert jetzt auch als Patin des national-internationalen Fernsehabends. Montagnier und Renaud, seit Jahren unermüdlich aktiv im Kampf gegen die bislang unheilbare Immunschwächekrankheit, hatten schließlich das Gesundheitsministerium in die Pflicht genommen: Eine systematische Öffentlichkeitsarbeit sei lebensnotwendig. Um so sträflicher, daß die Medien das Thema immer noch vernachlässigten. Die klassische Medizinrecherche oder das Wundermedikament gingen als Thema noch durch. Aber die sozialen Aspekte der „häßlichen Krankheit“ interessieren allgemein wenig. „Denn die sind nicht spektakulär“, so der Arzt Jean-Daniel Flaysakier, Mitarbeiter im Gesundheits-Ressort des staatlichen Fernsehsenders France 2.

Nachdem auch Prominente, darunter der neue Superintendant des französischen Staatsfernsehens „France Télévision“ (France 2 und France 3), Jean- Pierre Elkabbach, öffentlich für eine konzertierte Aktion gegen Aids warben, schlossen die TV- Chefs Mitte Januar auf einem „Jalta des Fernsehens“, so die Tageszeitung InfoMatin, den Pakt für ein „Sidathon“ (vgl. taz vom 9. Februar). Mit vielen Reportagen, Berichten und Diskussionsforen soll dreierlei erreicht werden: Die Information und Sensibilisierung der Bevölkerung über Aids und Aids- Prävention, bessere soziale Integration von Aids-Kranken und eine Großkollekte von möglichst einer halben Milliarde Francs (150.000 DM). Das Geld soll je zur Hälfte der Aids-Forschung und den Patienten zugute kommen. Frankreich zählt zur Zeit rund 300.000 HIV-Infizierte und 31.000 akut Erkrankte.

Vor gut zwei Wochen ist bereits auch die von vielen Medien und Institutionen getragene Spendenkampagne „Sidaction“ angelaufen. Neben Direktüberweisungen an die eigens gegründete Benefizgesellschaft ECS („Ensemble contre le Sida“/„Gemeinsam gegen Aids“) in Rouen können Spendenwillige auch Freiumschläge verwenden, die überall ausliegen. Für Deutschland ruft arte zu Spenden für die Deutsche Aids-Hilfe e.V. auf.

Herzstück der Sendung heute abend ist eine Veranstaltung aus dem Pariser Konzertsaal „Zenith“, die ab 20.50 Uhr live übertragen wird. Dort versammeln sich um die – in Frankreich sehr populären – Moderatoren Christoph Dechavanne und Frédéric Mitterand nicht nur Aids-Forscher, Ärzte, Kranke, Angehörige und Betreuer von Aids-Patienten. Auch eine „Plejade“ (so Le Monde) internationaler Stars beteiligten sich aktiv am Sidathon, darunter Catérine Deneuve, France Gall, Charles Aznavour, Liza Minelli, Elton John, Patricia Kaas, Maruschka Detmers, Bernadette Lafont, Brigitte Fossey, Françoise Hardy, Placido Domingo. Ulla Küspert

Deutsche Aidshilfe e.V., Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto Nr. 14400 24169, Stichwort: Gemeinsam gegen Aids.