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„Lärm ist etwas Subjektives“

Der Flughafen Halle/Leipzig expandiert, die Anwohner haben sich damit abgefunden / Die 251 Kursdorfer hoffen auf eine neue „Startbahn Nord“ und die Erhöhung der Lärmschutzwand  ■ Von Toralf Staud

Am schlimmsten ist das Brummen und Sirren der warmlaufenden Flugzeugmotoren. Wie ein Schleier liegt es von früh bis abends über Kursdorf. An den süßlichen Geruch verbrannten Kerosins gewöhnt sich die Nase schnell, und das ohrenbetäubende Fauchen der startenden Düsen- Jets, die gerade mal hundert Meter vom Dorfrand entfernt in den Himmel aufsteigen, ist schnell vorbei. Bis zum nächsten Abflug vergehen ein paar Minuten. Oder einige Stunden, wenn ein ruhiger Tag ist.

Ruhig sind vor allem die Wochenenden. Dann sind die Geschäftsreisenden zu Hause im Westen bei ihren Familien, und auch die Postflugzeuge, die mitten in der Nacht Briefe aus ganz Deutschland bringen, landen nicht. Dann scheint Kursdorf ein Ort wie jeder andere zu sein. Nur die Autovermietung und die unzähligen riesigen Plakatwände machen stutzig. Für ein normales 251-Seelen-Nest wären es viel zu viele.

„Mindestens ein Zehntel der Kursdorfer hat durch den Flughafen Arbeit“, berichtet Bürgermeister Manfred Heumos. „Direkt oder indirekt.“ Der bärtige Mittvierziger sitzt in seinem winzigen Gemeindebüro, das gerade so breit ist wie sein alter Schreibtisch und versucht, damit die „hohe Akzeptanz“ für den Flughafen zu erklären. Nein, eine Bürgerinitiative dagegen gibt es nicht. Über diese Frage hatten auch schon die beiden grauhaarigen Frauen gelächelt, die an der Dorfstraße standen und sich unterhielten. Auch am Verkehr, der durchs Dorf, vorbei am Tempo-30-Schild, in Richtung Flughafen donnert, konnten sie nichts Schlimmes finden. Sagten sie jedenfalls, kurz bevor sie dem halbwüchsigen Sohn des Bürgermeisters zuriefen, daß er bloß absteigen soll, wenn er mit dem Fahrrad über die Straße will.

„An den Krach haben wir uns gewöhnt“

An den Wänden des Kursdorfer Gemeindebüros kleben Landkarten, auf denen der riesige Flughafen und das Örtchen Kursdorf zu sehen sind. Am Rande eines geometrischen Geflechts aus Rollbahnen hängt ein Klumpen: graue Kästchen, scheinbar sinnlos um eine kleine Ringstraße gruppiert. An der anderen Seite des Dorfes zieht sich parallel zur Flughafenpiste schnurgerade die Autobahn über das Papier.

Ein schwungvoller Strich mitten durchs Dorf markiert die Grenze der „Lärmschutzzone B“. Mitleid will Manfred Heumos nicht gelten lassen, eher schon ein bißchen überlegen sagt er: „An den Krach haben wir uns gewöhnt.“ Etwas anderes blieb den Kursdorfern auch gar nicht übrig. Als der Flugbetrieb zur Frühjahrsmesse im Jahre 1963 aufgenommen wurde, hatte sie niemand gefragt.

Die Geschichte des Flughafens beginnt aber schon viel früher. Am 27. April 1927 landete die erste Maschine auf dem Rollfeld zwischen Schkeuditz und Kursdorf. Schon ein paar Monate später kreuzten sich 14 Luftlinien, der Flughafen Halle/Leipzig wurde zum zweitgrößten Deutschlands. Berühmt wurde er durch seine Architektur im Bauhausstil, im Sommer 1931 kamen mehr Schaulustige zum Flughafen als Passagiere. Die Caféterrasse reichte direkt bis an die Rollbahn – jeder Start war eine Sensation. Zu Kriegsbeginn wurde der zivile Flugbetrieb eingestellt, fünf Jahre später bei einem Bombenangriff die Gebäude weitgehend zerstört.

Schon neun Jahre nach der Wiedereröffnung wurde 1972 aus dem Messeflughafen ein vollwertiger, ein weiteres Jahrzehnt später folgte der Ausbau der Anlagen für eine Kapazität von 60.000 Fluggästen. Und nach der Wende explodierten die Passagierzahlen, im vergangenen Jahr waren es schon anderthalb Millionen. „Tendenz steigend“, wie Flughafengeschäftsführer Volkmar Stein triumphierend berichtet. Im Jahr 2010 sollen es acht Millionen sein.

Eine neue Startbahn, aber keine Proteste

Dieser Zuwachs ist mit der jetzigen Startbahn nicht zu schaffen. „Sie ist zwanzig Jahre alt und außerdem für Langstreckenflüge zu kurz.“ Eine Verlängerung ist nicht möglich. Am Westende stößt die Piste an die Autobahn A 9, und auf der anderen Seite steht das geplante Güterverkehrszentrum im Wege. Außerdem müßte die alte Bahn für eine Sanierung acht Monate lang gesperrt werden.

„Unmöglich! Rein betriebstechnisch gesehen.“ Über das verkniffene Managergesicht huscht ein Funken Ingenieursgeist. Kosten-Nutzen-Rechnungen fliegen durch das weißgetünchte Büro im Flughafentower, Wartungskosten zählt er an seinen Fingern ab, betriebstechnische Notwendigkeiten führt er auf. Und überhaupt. „Nördlich der A 14 ist genügend Platz für eine neue Startbahn“, glaubt Volkmar Stein.

Mit Stolz beschreibt er das Betonprojekt: 3.600 Meter lang und 60 Meter breit soll „sie“ sein. Die Autobahn Halle–Dresden werden zwei Brücken überspannen, darauf sollen die Jumbo-Jets zur Nordbahn rollen können. Volkmar Stein schwingt seine rechte Hand, in der er seit zwanzig Minuten eine Pall Mall ohne Filter hält, ohne sie anzuzünden. „Na ja, so fünfhundert Tonnen Traglast könnten reichen“, grübelt er. „Oder besser siebenhundertfünfzig?“ Alles kein Problem, meint der Diplomingenieur und nickt vertrauenssuchend. „Dann kommt eben ein bißchen mehr Stahl rein.“ Jetzt lächelt er zum ersten Mal und greift zum Feuerzeug. Und die Lärmbelastung durch die neue Startbahn? Mit der Siegesgewißheit des Mächtigeren fügt er hinzu: „Das öffentliche Interesse ist so hoch, da müssen die Anwohner ihr privates ein bißchen zurückstecken.“

Freiroda kriegt den Lärm und Kursdorf die Steuern

Die Kursdorfer und ihr Bürgermeister wollen die Startbahn Nord so schnell wie möglich: „Das wäre unsere Rettung. Sie ist anderthalb Kilometer entfernt, dann hätten wir etwas mehr Ruhe.“ Daß der Flughafen dann Kursdorf von drei Seiten umklammern wird, stört Manfred Heumos nicht. Im Gegenteil. Eine Menge Büros und Hotels werden sich ansiedeln, ein neuer Bahnhof gebaut – der Flächennutzungsplan steht bereits.

Gar nicht zurückstecken will dagegen die Bürgermeisterin des Nachbarortes Freiroda, Reinhilde Dieckmann. „Uns wäre der Flughafen da lieber, wo er jetzt ist. Hier findet doch dann keiner mehr Ruhe.“ Freiroda habe den Krach, und Schkeuditz, das Kursdorf im Januar eingemeindet hat, kassiere die Steuereinnahmen. „Da halte ich nicht still“, droht die ehemalige Kindergärtnerin und rutscht auf der vorderen Kante ihres schwarzen Ledersessels aufgeregt hin und her. Im Laufe der Planungen habe sie schon ordentlich Druck gemacht; große Chancen, die Nordbahn zu verhindern, gibt sich die resolute Frau trotzdem nicht. Nicht zuletzt, weil die Einwohner die geplante Startbahn noch verdrängen. Mit einem wissenden Lächeln schiebt sie hinterher: „Fast jeder aus dem Dorf hat ein Stück Land an den Flughafen verkaufen können.“

Auf jeden Fall will sie einen begrünten Lärmschutzwall erstreiten und den kostenlosen Einbau von dreifachverglasten Fenstern in alle Häuser. Die gigantische Flächenversiegelung wagt sie auf den Beratungen kaum noch anzusprechen. Und auch die negativen Auswirkungen des Lärms auf die gerade erschlossenen und teilweise schon verkauften Gewerbegebiete des Dorfes wird sie nicht mindern können.

„Alles nicht so schlimm, sagen die Flughafenleute immer. In zehn Jahren sollen die Maschinen so leise sein, daß man sie kaum noch hört. Wenn man denen glaubt, wird man von den Flugzeugen erst wieder richtig gesund“, amüsiert sich Bürgermeisterin Dieckmann und schüttelt ihre blonden Locken. Mit einem Mal wirkt das Lächeln der 42jährigen resigniert. Auch ihr Dorf wird demnächst eingemeindet, ob sie nach der nächsten Wahl noch Rats-Chefin ist und weiterkämpfen kann, weiß Reinhilde Dieckmann nicht.

Einen Lärmschutzwall, wie sie ihn für Freiroda fordert, hat Kursdorf gerade bekommen. Zwanzig Meter hinter den letzten Eigenheimen erhebt er sich sechs Meter. Von den zum Start rollenden Flugzeugen sind nur noch die Heckflossen zu sehen, die über den Hügel ragen. Zu hören sind die Düsenjets und Propellermaschinen noch ganz genau. Erst recht beim Start. „Sobald wie möglich – auf jeden Fall bis im Sommer die vielen Urlaubsflieger kommen – wird obendrauf noch eine Holzwand gesetzt, dann ist die Geräuschbelastung erträglich“, verspricht Flughafenmanager Volkmar Stein. Bestimmt werde es auch dann noch ein paar Leute geben, die sich immer noch beschweren, weil es zu laut ist, gibt Stein vorbeugend zu. „Aber da kann man nichts gegen machen. Lärm ist etwas Subjektives.“ Und außerdem sei Kursdorf nun mal kein Erholungsgebiet.

Ein bißchen profitiert jeder vom Flughafen

„Seitdem der Schutzwall steht, ist der Krach noch schlimmer geworden“, schimpft ein alter Kursdorfer, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will. „Mein Sohn arbeitet auf dem Flughafen. Verstehen Sie?“ Der Alte hätte es lieber gesehen, wenn das Dorf umgesiedelt worden wäre. Die Pläne dazu waren schon fertig, als die Wende kam.

Dann hieß es, zu teuer, und Kursdorf erhielt statt dessen einige Fördergelder für neue Fußwege und Straßenlaternen. Aber mittlerweile hat auch er sich mit dem Flughafen abgefunden und profitiert ja auch davon. Im Sommer hatte der Alte einen Saisonjob als Parkplatzwächter ergattert, und seine Garage vermietet er jedes Wochenende für fünfzig Mark an einen Geschäftsmann. Der stellt da seinen Benz ab, bevor er nach Hause fliegt.

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