: Plötzlich in Dortmund Von Claudia Kohlhase
Es gibt Zeiten, da kommst du aus Versehen in eine fremde Stadt. Die sich nicht auf dich vorbereitet hat; und du hast dich auch nicht richtig vorgestellt oder angemeldet oder Termine in der Hinterhand. Du bist einfach zwischen zwei Züge geraten und merkst quasi auf einmal, daß du in einem Café in Dortmund sitzt. Draußen steht ein Postauto, drinnen sitzen Leute und ein Papagei, der singt lalala, also warum Dortmund? Es ist egal, es ist eben so; wenn es nicht Dortmund wäre, wäre es womöglich Bottrop, und regnen tut's sowieso, und von irgendwoher preßt ein Preßlufthammer, das könnte auch in Bielefeld oder Karlsruhe sein.
Woher weiß ich also, daß ich hier bin? Wegen der Postkarten vielleicht, da steht überall Dortmund drauf, schönes Dortmund. Oder: Dortmund – okay. Okay, dann bin ich also in Dortmund. Ich suche zuerst ein Klo und ein schickes Brötchen und finde beides, das wäre vermutlich auch in Münster möglich gewesen. Ich suche und finde dann das Café und entschließe mich, die Karten zu schreiben, die ich nun mal gekauft habe, um zu wissen, daß ich in Dortmund bin. Aber wer schreibt schon Karten aus Dortmund, geschweige an wen? Das wäre ja so, als hätte man herkommen wollen und sei stolz darauf oder glücklich darüber. Oder müßte eine kleine Dortmund-Spur legen bzw. hinterlassen, um für etwas Sinn zu sorgen. Das Klo ist übrigens sauber gewesen und das Brötchen knackig, fast wie in meiner Stadt, aber ich bin ja nun in Dortmund, das eigene Brötchen hat, die im Grunde genommen nur für Dortmunder sind.
Die Fußgängerzone ist dann wieder offen für alle und kennt sich sogar in mir aus – als wäre sie ein Stück Heimat-Filiale, womöglich wegen all der Filialen, nachher auch wegen des typischen Nachtschalters der Dresdner Bank. Komischerweise sind die Bäume in Dortmund schon weiter als in meiner Stadt, aber wahrscheinlich weniger weit als in Husum, also hebt sich das wieder auf.
Die Serviererinnen sind allerdings besonders nett, jedenfalls die eine. Am Ende liegt es an Dortmunder Serviererinnen, daß man sich überall in der Welt wie zu Hause fühlt, vor allem aber in Dortmund. Die Serviererinnen in Dortmund sagen ungefähr genauso „woll“ wie die in Wuppertal, vielleicht eine Spur burschikoser und ohne Wupper im Hintergrund. Dortmunder Serviererinnen mögen ihre Stadt ganz gerne, abgesehen von der Luft, aber wofür gibt's den Westfalenpark, durch den man gehen kann, während man ihn besichtigt. Sonst gibt's nicht soviel zu sehen in Dortmund, außer eben Serviererinnen, die mit hauseigenen Papageien sprechen, damit die morgens was sagen, obwohl sie Morgenmuffel sind. Außerdem lernen Dortmunder Serviererinnen vorbildlich neue Aushilfskräfte an, die als erstes Tischnummern auswendig lernen müssen – nie mehr werde ich vergessen, daß ich in Dortmund an Tisch 11 saß, also zwischen Tisch 10 und Tisch 12 und nicht zu verwechseln mit Tisch 13, bloß weil der halbrechts neben Tisch 12 stand.
Ich weiß nicht genau, ob Dortmund nicht doch eine Art Abenteuer darstellt. Jedenfalls für ambulante Umsteiger, die zwischen die Stühle geraten sind, als wäre da Platz. Oder als wäre es im Grunde nicht zu fassen, an einem derart normalen Ort derart fremd zu sein.
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