Streicht die letzte Zeile!

■ ...und weitere Ratschläge für den Schreibnachwuchs: Bernd Gosau, Nestor der Bremer Literaturszene, über die Zeitschrift „Stint“ und deren Zählebigkeit / Am Dienstag Lesung

Ob Gedichte, Glossen oder Mannschaftsaufstellungen: Im „Stint“ kommt alles dran. Die „besondere Literaturzeitschrift aus dem Norden“ ist die wichtigste Anlaufstelle für den literarischen Nachwuchs der Stadt (& umzu). Daß die Anthologie nun schon im achten Jahr regelmäßig erscheint, nämlich alle halbe Jahre – das verwundert selbst die aufopferungsvoll wirkende Redaktion. Für die erzählte Mitbegründer Bernd Gosau, was und warum alles seinen Platz hat im „Stint“.

„Der Weserstint ist der beste Stint, den man finden kann“, heißt es unter den Fischern. Welche Eigenschaften werden diesem Tier eigentlich zugesprochen?

Sie sind klein, aber zahlreich – das ist deren Stärke. Sie neigen zum Kannibalismus, sind Raubtiere. Was übrigens ja auch keine ganz brauchbare Bezeichnung für Schriftsteller ist. Und sie schmecken hervorragend.

Was hat sich die Zeitschrift von diesen Eigenschaften geborgt?

Erstmal die Nähe zum Meer. Wir wollen vor allem Autoren aus dem nordeuropäischen Raum präsentieren, zwischen Groningen und Riga etwa. Auch die Kleinheit haben wir mit dem Stint gemeinsam: Im Vergleich mit anderen Literaturzeitschriften sind wir ja nicht sonderlich groß, mit 1000 Stück Auflage. Mit dem Kannibalismus, das wollen wir mal rauslassen.

Und die Zähigkeit des Fisches?

Die braucht man, um als Literaturschaffender in Bremen zu überleben. Wir sind ja mittlerweile im achten Jahr. Aber nochmal zurück zur Bedeutung: „Stint“ heißt im Englischen soviel wie „stocken, anhalten“. Wir fanden, das ist für Literatur auch ein passender Begriff. Wenn man schreibt – auch wenn man liest – zieht man sich eine Zeit lang zurück, um sich der Wirklichkeit dann erneut zuzuwenden. Das empfanden wir als schönes Bild für unser Projekt.

Der Stint hat sich dabei zu einem Wesen mit ziemlich vielen Eigenschaften entwickelt. Man findet Heimatdichtung, Korrespondenz aus Osteuropa, Lyrik, Prosa, Satire und zwischendurch noch Reproduktionen von Gemälden und Fotografien. Wird das Profil des „Stint“ nicht ziemlich verwässert durch so vielfältige Ansprüche?

Wir versuchen schon, uns ein Profil zu geben. Die Textsorten spielen dabei aber keine Rolle. Wir drucken Essays, Hörspiele, Lyrik. Das Hauptkriterium, das wir haben: Schreiben für die Gegenwart.

Irgendein Bezug zur Gegenwart läßt sich ja immer konstruieren; wie sieht das konkret aus?

Das Stint-Projekt wollte von Anfang an zwei Dinge: Erstens junge Autoren fördern – das ist unser Hauptmotiv; wir machen eine Zeitschrift für junge Leute. Zweitens: Wir wollen die Verbindung zur Vergangenheit bewahren. Wir präsentieren z.B. zu Unrecht vergessene Autoren – Menschen, die uns noch etwas zu sagen haben. Wie in unserer Buchreihe über Konrad Weichberger, der hier in Bremen gelebt hat, sich in die Politik und Kultur seiner Zeit eingemischt hat.

Dabei kommt aber manchmal eine ziemlich bunte Mischung heraus. Wie entscheidet sich denn, wer wann ins Blatt kommt?

Es bekommt Rederecht, wer einen qualitativ guten Text abliefert, nach Meinung der Redaktion. Wenn's handwerklich und stilistisch in Ordnung ist; und wenn die Haltung in Ordnung ist – nur zynische Texte finden Sie im Stint nie. Unsere Kriterien sehen so aus: Es muß ein nützlicher Text sein, und er muß Spaß machen. Er muß etwas aussagen über die Zeit, in der wir leben; und wir versuchen, humorvolle Texte reinzunehmen. Aber Klamauk zum Beispiel und triviale Glossen, die wir auf den Tisch bekommen, haben bei uns keine Chance. Wir haben den Anspruch, poetische Texte zu machen. Dieser bunte Strauß, der dabei zustandekommt – das ist eine Mischung, die eben zum Stint gehört.

Viele junge Autoren kommen aber nicht gerade im Stint zu Wort. Pflegt die Redaktion denn ein so strenges Lektorat?

Bei den jungen Autoren ist das ja ein Teil unserer Arbeit. Mit denen reden wir eingehend über ihre Texte; aber wir debattieren auch mit gestandenen Autoren. Wir schlagen dabei oft ganz massive Kürzungen und Änderungen vor.

Und das lassen die sich bieten?

Ja, und sie sind noch dankbar dafür. Als Gebrauchsanweisung sage ich als Lektor den ganz jungen Dichtern immer: „Streicht die letzte Zeile“ – dann fällt man meist wirklich aus allen Wolken, wie die Gedichte plötzlich besser werden. Fragen: tom

Am Dienstag, 12.4., lesen drei Stint-AutorInnen in der Stadtwaage (Langenstr. 13): Detlev Michelers, Petra Kasch und Georg Oswald Cott; Beginn: 20 Uhr