piwik no script img

Zittern ums Datschen-Idyll

■ Ostdeutsche kämpfen um ihr Urlaubsparadies am Stadtrand / Zahlreiche Alteigentümer haben Rückgabeansprüche auf die Grundstücke angemeldet

Auf ihre Datscha am Stadtrand von Berlin ist Regina Engelke mächtig stolz: „Schon mein Mann ist hier groß geworden“, berichtet sie mit leuchtenden Augen und schwärmt von langen Sommerabenden, bunten Kinderfesten und handwerklichen Tüfteleien am Wochenendhaus. Zu DDR-Zeiten verbrachte Familie Engelke den ganzen Sommer auf ihrem Erholungsgrundstück in Zeuthen bei Berlin. Doch seit die alten Eigentümer ihre Rückgabeansprüche angemeldet haben, droht der Urlaubsidylle das Aus.

Engelkes sind kein Einzelfall: Tausende der früheren Eigentümer kämpfen derzeit um ihre alten Grundstücke an den Stadträndern. Für die jetzigen Nutzer geht es dabei stets um mehr als ein kleines Fleckchen Erde: Denn zu DDR- Zeiten waren die grünen Parzellen oft die einzige Abwechslung vom grauen Alltag im Arbeiter- und Bauernstaat. Doch die Bundesregierung will jetzt die Rechte der Alteigentümer stärken. Für die Engelkes endete der Frieden auf der Datscha abrupt: Im Juni 1992 stand mit einem Mal ein Herr aus Westberlin vor dem Zeuthener Gartentor, stellte sich als einer der Alteigentümer vor und verlangte 800.000 Mark für das Grundstück. Mit einem Rechtsanwalt und mehreren Kündigungsschreiben verliehen die einstigen Besitzer ihren Ansprüchen Nachdruck.

Die Gartenfreunde sind verzweifelt

„Wir fühlten uns wie Verbrecher behandelt“, klagt Regina Engelke, die inzwischen eine Bürgerinitiative gegen die rigiden Alteigentümer auf die Beine gestellt hat. Seither erfährt sie regelmäßig von verzweifelten Gartenfreunden. Wegen der Schikanen eines Alteigentümers „mußte eine ältere Dame schon einmal mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus“. Die bedrängten Gartenfreunde wüßten häufig nicht über ihre Rechte Bescheid und verfügten zudem nicht über das Geld für juristischen Beistand. Den bangenden Datschenbesitzern fehlt es nicht an prominenten Fürsprechern.

Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Mazière (CDU) lobte die Eigeninitiative der Gartenfreunde, Brandenburgs Justizminister Hans Otto Bräutigam (parteilos) bezeichnete die Stadtrandparzellen als ein „kleines Stück Freiheit“. Und Vertreter der DDR-Bürgerbewegung erinnern daran, daß die Erholungsgrundstücke zu DDR-Zeiten als Nische und Urlaubsersatz dienten: In der Tristesse des Realsozialismus seien die Datschen „Teil einer Überlebensstrategie“ gewesen, meint auch Wolfgang Wieland, der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus.

Kaum Unterstützung von Ost-Politikern

Auch Regina Engelke, deren Datscha nur einen Steinwurf vom Nobel-Grundstück des einstigen DDR-Innenministers Peter- Michael Diestel entfernt liegt, erhofft sich von den meisten ostdeutschen Politikern kaum noch Unterstützung: Stolpe, Eppelmann und all die anderen hätten doch nach der Wende „alle ein großes Haus gekriegt“; eine Interessenvertretung der kleinen Leute sei da nicht mehr angesagt. In der Tat können jene Grundstücksbesitzer, die auf ihrer Parzelle ein Wohnhaus erichtet haben, nicht so leicht vertrieben werden, „auch wenn sie in der DDR ohne Genehmigung gebaut haben“, wie Engelke betont. Doch für das Gros der Datschen, die nur der Erholung dienen, sieht ein Gesetzentwurf des Bundeskabinetts von Januar mehrere Kündigungsmöglichkeiten vor. So soll ein Alteigentümer den Nutzer seines Grundstücks ab 1995 verjagen können, wenn er darauf für den Eigenbedarf ein Wohnhaus bauen will.

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag verlangt dagegen einen stärken Schutz der jetzigen Nutzer. Sie sollen die Datschen entsprechend dem „Nießbrauch“ bis an ihr Lebensende behalten, die Anwesen allerdings nicht vererben können. Zwar glauben nicht einmal die Bündnisgrünen so recht an eine Mehrheit für ihren Gesetzentwurf bei den anstehenden Beratungen im Bundestag. Doch immerhin erreichte die Brandenburger Landesregierung, daß jetzt auch der Bundesrat für längere Kündigungsfristen plädiert, als sie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vorsieht. Für die Datschenbesitzer würde sich damit freilich nur die Galgenfrist verlängern. Regina Engelke jedenfalls hat schon ein bißchen resigniert: „Wir können nur hoffen, daß wir noch so lange wie möglich bleiben können.“ Jürgen Petzold (AFP)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen