piwik no script img

10.000 Autos mitten durch Spandauer Forst

■ Verkehrssenator Haase will kommenden Dienstag trotz heftiger Widerstände Schönwalder Allee für Verkehr öffnen

Das unberührte Waldgebiet des Spandauer Forstes wird in wenigen Tagen nicht mehr das sein, was es war: Kommenden Dienstag will Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) die durch den Wald führende Schönwalder Allee zwischen dem Oberjägerweg und der Landesgrenze wieder für den Verkehr öffnen. Zu Mauerzeiten bedeutungslos, war die Straße 1985 geschlossen worden. Seit letztem Sommer verkehrt dort lediglich die Havelbus-Linie 671, die Spandau mit dem brandenburgischen Schönwalde verbindet.

Mit seiner Entscheidung steht der Verkehrssenator allein auf weiter Flur: Das Bezirksamt Spandau, die Senatsumweltverwaltung, das Landesforstamt und die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) sind strikt dagegen. Die Schönwalder Allee führt auf ganzer Länge durch das Landschaftsschutzgebiet Spandauer Forst, der den Berliner Wasser-Betrieben auch zur Trinkwassergewinnung dient. Sie durchschneidet zudem ein geplantes und berührt zwei bestehende Naturschutzgebiete. Im Landschaftsprogramm verzeichnet ist dort ein „Artenreservoir von Arten naturnaher Wälder“ und „Verbindungsbiotope für Arten der Gewässerränder und Böschungen“.

Der Spandauer Baustadtrat Klaus Jungclaus (SPD) hatte bereits im Jahre 1991 eine Umweltverträglichkeitsstudie für die Waldstraßen des Bezirks in Auftrag gegeben. Das Gutachten prophezeite für die Schönwalder Allee, sollte sie geöffnet werden, ein Verkehrsaufkommen von 10.000 Autos am Tag und irreparable Schäden für die Tier- und Pflanzenwelt, die Trinkwasserversorgung und die Erholungsfunktion. Deshalb hatten sich außer der Senatsverkehrsverwaltung alle Beteiligten darauf verständigt, nur die Niederneuendorfer Allee als Verbindungsstraße für diesen Bereich auszubauen, weil sie den Spandauer Forst nur am Rand berührt. Die Bauarbeiten dort könnten 1995 beendet sein, schätzt Jungclaus.

So lange wollte Verkehrssenator Haase aber nicht warten. Seine Behörde zog das Verfahren an sich, was rechtlich allein bei einer „Hauptverkehrsstraße mit vorwiegend überbezirklicher Funktion“ möglich ist. Als solche weist der Flächennutzungsplan aber nur die Niederneuendorfer Allee aus; daß auch der Schönwalder Allee diese Funktion zukommen soll, begründet Haases Mitarbeiter schlicht mit deren Namen auf Brandenburger Gebiet – „Berliner Allee“.

Auch sonst läßt sich der Verkehrssenator von den Einwänden nicht beeindrucken. Sein Pressesprecher Klaus-Joachim Kurz teilte mit, Haase wolle „ganz prinzipiell alle Straßen wiedereröffnen, die durch den Mauerbau unterbrochen waren“. Dabei soll es „keine Ausnahmen“ geben. Die Umweltverträglichkeitsstudie liegt Kurz „nicht vor“, vom Trinkwasserproblem ist ihm „nichts bekannt“. Ellen Küchmeister von der Umweltverwaltung kommentierte dies mit den Worten: Die Kollegen vom Verkehrsressort „interessieren sich einfach nicht für ökologische Aspekte“. „Es wäre Wahnsinn“, so Küchmeister, „dort Autos fahren zu lassen“.

Dem Bezirksamt sind aber die Hände gebunden: Jungclaus will zwar „auch weiteren Weisungen nicht folgen“ und „keine Verkehrsschilder aufstellen“, klagen kann er gegen die eigene Verwaltung aber nicht. Deshalb will nun der BLN, von Jungclaus „als Privatperson“ unterstützt, vors Verwaltungsgericht ziehen. Besonders haarsträubend findet Ingo Franßen vom BLN die Begründung für die Anordnung des sofortigen Vollzugs: Im Falle weiterer Verzögerungen „bestünde für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Berlin und Schönwalde auf ökonomischem, sozialem und kulturellem Gebiet die Gefahr des Eintritts später nicht mehr auszugleichender Schäden“, zumal das „Achsenmodell“ für die Entwicklung der Region vorsehe, gerade nicht die direkt am Stadtrand Berlins gelegenen Gemeinden bevorzugt zu fördern.

Unterstützt wird die Klage auch von der Forstverwaltung. Für Roland Grund, Leiter des Forstamts Tegel, ist die Freigabe schlicht „Schwachsinn“. Der Chef des Landesforstamts, Uwe Meierjürgen, kann sich allenfalls vorstellen, die Schönwalder Allee befristet zu öffnen, bis die Niederneuendorfer Allee ausgebaut ist: „Damit können wir zähneknirschend leben, auch wenn jedwede Infrastrukturerweiterung durch Wälder in Ballungsräumen das ökologische Gesamtsystem schädigt.“ Ralph Bollmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen