■ Mit „White Metal“ im Kampf gegen das Böse und den Unglauben in der Welt: Langhaarige rocken für den lieben Gott
Berlin (taz) – Daß Rockmusik Teufelswerk sein soll, ist ein alter Hut. Auch über „Backward Masking“, das angebliche Heraushören satanischer Botschaften beim Rückwärtsspielen von Schallplatten, regt sich im CD-Zeitalter kein Mensch mehr auf. Höchstens uninformierte Naivlinge geifern noch über „Death Metal“ und provokative Gemetzelbands wie Gwar. Der aufgeschlossene, tolerante Christ von heute hat es nämlich nicht mehr nötig, laute Gitarren und lange Haare als gottloses Gelärme armer Ungläubiger abzutun, denn es gibt ja „White Metal“.
Stephan Reusch, 21, ist Vorstand des bisher ersten und einzigen deutschen „White Metal Clubs“, der im schwäbischen Reutlingen beheimatet ist. Das „Hauptziel“ des 250 Mitglieder starken Vereins: „Gottes Reich bauen.“ So steht es in der Infobroschüre des mildtätigen e.V., der all die verbinden will, „denen es ein Anliegen ist, durch die Musik zu missionieren“.
Doch was, bitteschön, ist „White Metal“ denn nun genau? Wer mit Rockmusik nicht viel zu tun hat, ist ja schon mit den herkömmlichen Begriffen wie „Death Metal“, „Speed Metal“, „Black Metal“, „Grunge“ oder „Crossover“ überfordert. Und nun auch noch „White Metal“? Die Unterschiede liegen dann auch nicht im musikalischen Bereich, sondern sind rein spiritueller Natur. „Die Musiker von White- Metal-Bands sind überzeugte, bekennende Christen, und ihre Texte handeln von Jesus Christus“, erläutert Stephan Reusch, der momentan seinen Zivildienst leistet, den Unterschied zum säkularen Metal. Aber auch das klingt noch nicht sonderlich spektakulär, denn schon seit den Siebzigern versuchten fortschrittliche Kirchengemeinden beider Konfessionen, mit Jugendgottesdiensten und Rockmusik auf Seelenfang zu gehen – mit doch sehr begrenztem Erfolg. White Metal dagegen boomt.
Wie so vieles, was bei Jugendlichen Zuspruch findet, kommt auch der Gottesrock aus den USA. Im Lande der schmierigen Fernsehprediger und verrückten Christensekten, die für jeden Geldbeutel und jedes spirituelle Partikularinteresse das passende Angebot bereithalten, konnte sich schon seit den frühen Achtzigern eine christliche Rockmusikszene etablieren. Wer von den Drogenexzessen des Rock- 'n'-Roll-Lifestyles, von one night stands und vorehelichem Sex, von Okkultismus, Satanismus und Aggressivität die Schnauze voll hat, findet hier eine neue musikalische Heimat voller Nächstenliebe, Wärme und tiefer Gottesfürchtigkeit. Stryper waren eine der ersten christlichen Rockbands, die den Sprung aus dem Kirchengemeindeghetto ins große Musikbusineß schafften und deren Platten nicht nur über christliche Buchläden vertrieben werden – bekehrt von einem TV-Prediger ...
In Deutschland hat das klerikale Establishment den Braten noch nicht so recht gerochen, obwohl in einer Zeit, in der nur die Zahl der Kirchenaustritte junger Leute boomt, sicher zeitgemäße Missionierungsstrategien gefragt wären. So war der sich als überkonfessionell bezeichnende White Metal Club zwar schon auf dem katholischen und dem evangelischen Kirchentag vertreten und versuchte mit Musikvideos auf sich aufmerksam zu machen, aber gerade die ältere Generation kommt laut Reusch nicht mit der modernen Zeit klar: „Die sagen, was sich so anhört, kann nicht von Gott sein.“ Dagegen sei bei jüngeren Pfarrern durchaus Akzeptanz vorhanden.
Borderline nennt sich das Mitteilungsblättchen des Vereins, das im handlichen A 5-Fanzineformat kommt. Gleich im Editorial geht es hart zur Sache, so etwa in Heft 8/93: „[...] Ich will den Herrn loben alle Zeit!! [...] Bete ohne Unterlaß für Deine Probleme. ER ist da und nimmt Dich ernst. Gott segne euch alle, besonders meine neuen Mitarbeiter. Euer Stephan.“ Es folgen Leserbriefe, wo zum Beispiel ein Matthias V. die Frage aufwirft, ob „Stagediving“, das rituelle Von- der-Bühne-Hüpfen bei Rockkonzerten, sich mit dem Christsein vereinbaren läßt: „Denkt einmal über den Vers aus Kol. 3, 17 nach, ob dies wirklich zur Ehre des HERRN geschieht, oder nicht doch zur eigenen Ehre.“ Aufschlußreich die Interviews mit christlichen und ausnahmsweise auch mal „säkularen“ Bands. Die Christrocker Charizma etwa bereiten sich auf ihre Auftritte bestens vor: „Vor jedem Konzert beten wir sehr viel. Wir binden die bösen Mächte in Jesu Namen und bitten Gott, daß er den heiligen Geist wirken läßt, weil jeder Ort eine andere Atmosphäre hat. [...] Wir betreiben geistliche Kampfführung, damit sich die Herzen der Freaks öffnen. Wir predigen auf der Bühne und machen einen Aufruf, Jesus nachzufolgen und ihn ins Herz aufzunehmen.“ Und bei den Plattenbesprechungen schreibt ein gewisser Dirk zu Mortification, einer australischen Death-Metal- Band: „Die Texte handeln viel von dem Umgang mit der Schuld und der Vergebung Gottes, also Themen, die uns alle jeden Tag angehen.“
Sehr schön dann die Rubrik „Bekehrung durch White Metal“, gehalten ganz im Stil der „Wahren Geschichten“ billiger Frauenzeitschriften. In der aktuellen Ausgabe des Borderline beschreibt Siegmar seine Erleuchtung: „Ich versprach mein Leben an Jesus, und es war ein wahnsinniges Feeling.“ Aufschlußreich auch „Texte mit Aussage“, wo der Song „Gold Cross“ einer Band namens Ordained Faith zerpflückt und interpretiert wird: „Nur eine Modeaussage ... Dein Kreuz. Nimm es ab, wenn du nicht zustimmst: Jesus Christus ist der Einzige, der Sünder freimacht!“
Was von dem ganzen Weißmetallspuk zu halten ist? Götz Kühnemund, Chefredakteur des Heavy- Metal-Fachblattes Rock Hard, steht dem Rock im Zeichen des Kreuzes pragmatisch gegenüber: Es sei ja keine falsche Sache, wenn Bands eine positive Message hätten, aber mit Rock 'n' Roll habe das alles irgendwie nicht mehr viel zu tun ... Joachim Hiller
Kontakt: White Metal Club e.V., Wengertstr. 18, 72766 Reutlingen, Tel. & Fax: 071 21 / 47 82 43
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