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Wiederherstellung der Freundlichkeit

■ Erzählungen von Günter Ohnemus

Eine hübsche und zudem wahre Geschichte, die Günter Ohnemus für eine Festgabe zum 25jährigen Jubiläum des Maro Verlages aufgeschrieben hat: Eines angenehmen Tages wurde er von seinem Verleger besucht. Der Gastgeber bereitete ein prächtiges Essen vor, und nach einigen Stunden verabschiedete sich der Verleger wieder. Günter Ohnemus stellte sich ans Fenster, um zu sehen, ob sich der Besuch noch einmal umdrehen und zum Fenster hochschauen würde. Das macht Ohnemus immer so; man könnte sich schließlich noch einmal freundlich zuwinken. Der Verleger machte einige Schritte auf dem Bürgersteig und trat in einen Haufen Hundescheiße. Schade, fand Ohnemus, denn so bleibt ewig im dunkeln, ob er sich umgedreht hätte.

Umdrehen und Zuwinken, das ist wohl das geheime Wesen der spinnwebfeinen Geschichten von Günter Ohnemus. Der Mann hat, übrigens ganz vorzüglich, Richard Brautigan (Eichborn, Rowohlt) übersetzt und kürzlich auch zwei Bücher von Keith Abott (Palmenpresse). Das hat ihn, wie sein neuer Erzählungsband zeigt, nicht ganz unbeeindruckt gelassen. „Die letzten Großen Ferien“ sind nicht nur Richard Brautigan, sondern auch „dottore kohl“ gewidmet. Sie fleddern Raymond Chandler und Joni Mitchell, und wer im Schreibschrank von Joni Mitchell kramt, kann kein ganz schlechter Mensch und Autor sein.

Ohnemus' Geschichten winken auf still versponnene Art den peripheren Begebenheiten des Alltags zu, Gewebe aus Sich-Wundern, Schmerz und wishful thinking. Sie drehen sich nach den Randfiguren des Lebens um und verschaffen ihnen in einer immer schneller werdenden Zeit „Kino und Ewigkeit“, „Auftritt und Text“: einer Unbekannten auf dem Tennisplatz, einer nach nassem Kartoffelsack riechenden alten Frau, einem narbenbedeckten Jungen aus Jugoslawien. In Ohnemus' Geschichten gibt es Leute, die vorm Fernseher ertrinken und Menschen, die so für Dreiecksgeschichten geschaffen sind, wie wir es nie waren: Wir würden uns fühlen wie „ein billiger Schneebesen aus den fünfziger Jahren, der in irgendeinem Hinterhof in einer Schneepfütze liegt“, einfach furchtbar.

Siebenundzwanzig ganz kurze oder ganz lange Kammerstücke zeigen eine Wahrnehmung, die in kindlicher Unschuld schwimmt wie ein unbescholtenes Ferienglück in der warmen Sonne. Geschichten, die wissen, „daß am Leben schon noch ein bißchen mehr dran ist als die Sachen, die sich in Inventarlisten eintragen lassen“. Sie ist nicht genug zu preisen, diese Kunst der nicht garstig wie der Zeigefinger eines Symboldeuters um Sinn bemühten Abschweifung und Mehrfachseherei. Ohnemus genügt ein winziger flash, um seinen Mutmaßungen einen Schubs zu versetzen, und sie fallen artig gegeneinander wie Dominosteine. Oder sie machen wie ein altes Vexierbildchen aus einer Wiese erst einen See und dann vielleicht eine Kinderstrickjacke mit einem Muster wie in den fünfziger Jahren, wo die Wolle immer noch auf der Haut kratzt. Wie „wenn das Leben eine Filmspule wäre, die man auch rückwärts laufen lassen könnte“, bis dahin, „als wir Kinder waren und uns die Knie aufschlugen und Angst hatten und Glück und verrückte Träume“. Man steht noch einmal unter Fenstern, aus denen das Ende von Liebesgeschichten fliegt, Porzellanpuppe, Nähmaschine und lilafarbener Bikini, sieht rote Tomatendosen in weißem Schnee explodieren, riecht den Duft von Sommerfeldern und Schweineschnitzeln.

Ohnemus' Geschichten nehmen an einer weltweiten Verschwörung zur Wiederherstellung der Freundlichkeit teil; viele davon, aber wieder nicht so viele, daß sich Überdruß einstellen könnte über einen sentimentalen Tante-Emma-Laden von Phantasien. Sie sind voller Erinnerungen an Augenblicke, die die Gegenwart noch immer verzaubern. Das geht nicht ohne Wehmut ab: „Ach, daß wir ganz leise immer älter werden.“ Anke Westphal

Günter Ohnemus: „Die letzten Großen Ferien“. Maro Verlag, geb., 244 Seiten, 32 DM.

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