: Urbi et orbi auf Esperanto?
■ Umberto Eco will uns in Babel heimisch machen
Wer Übersetzungsprobleme für eine akademische Angelegenheit hält, hat heute vielfach Gelegenheit, sich eines besseren belehren zu lassen. Im Dezember war in dieser Zeitung ein kurzer Text des bosnischen Schriftstellers Zlatan Čabaravdić zu lesen, mit dem Vermerk der Übersetzung „aus dem Serbokroatischen“. Die Folge dieser Notiz war ein wütender Brief des Übersetzers, der darauf bestand, den Text „aus dem Bosnischen“ übertragen zu haben.
Soll man sich an der Umschreibung der Sprachgeschichte beteiligen oder lieber an der Formel festhalten, die an das alte Jugoslawien erinnert? Wer ersteres tut, muß wissen, daß er sich, wenn auch an der Seite der Unterdrückten, an der „linguistischen Nationalisierung“ (Lothar Baier) beteiligt.
Umberto Ecos neueste Studie über die „Suche nach der vollkommenen Sprache“ zeichnet einen vergessenen Strang der europäischen Ideengeschichte nach, vor dessen Hintergrund sich erst so recht ermessen läßt, wie prekär und zerstörerisch die sprachlichen Säuberungsaktionen im Dienste der nationalistischen Segregation sein können. Die von Eco referierten „nationalistischen Hypothesen“ über den Ursprung der Sprachen, die mit den europäischen Nationalstaaten aufkamen, erinnern an die jüngsten Entwicklungen nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums. Sie haben ihre Vorläufer, die findigen Professoren, die heute beweisen, daß das Serbische, das Kroatische und das Bosnische „parallele Sprachen“ sind, eine ursprünglicher als die andere: Im 16. und 17. Jahrhundert gab es, wie Eco zeigt, einen regelrechten Wettkampf der Gelehrten um die linguistische Begründung des Nationalen. Mit grotesken Spitzenleistungen: Man erkannte im Flämischen die Sprache, die schon „an der Wiege der Menschheit gesprochen wurde“ und bewies, daß Gott schwedisch und Adam dänisch gesprochen hat.
Aber das ist nur ein Nebenstrang von Ecos Untersuchung, in deren Zentrum die zahllosen Versuche stehen, jene Wunde zu heilen, die mit dem Namen Babel bezeichnet wird. Nach dem biblischen Mythos hat Gott den Menschen die Sprache verwirrt, weil sie den Hochmut besaßen, einen Turm bis zum Himmel zu bauen. Diese Geschichte von der verlorenen Einheit hat zahlreiche Versuche angestachelt, zu dem Zustand vor der confusio linguarum zurückzukehren, sei es durch die Rekonstruktion einer Ursprache (Hebräisch, Indogermanisch), sei es durch die kabbalistische Entzifferung des wahren Textes unter dem Oberflächentext der Überlieferung, sei es durch die Entwicklung künstlicher Sprachen vom Volapük bis zum Esperanto.
Eco hat uns von seinem oft recht unterhaltsamen Ritt durch die Geschichte dieser Idee sogar eine Botschaft mitgebracht: Wir sollen uns die Sprachverwirrung als felix culpa, als glücklichen Sündenfall, und die Bewohner Babels als glückliche Menschen vorstellen. Der Weg zurück zum seligen Zustand vor Babel hat sich für seine Pioniere bestenfalls als Weg in die geistige Verwirrung erwiesen, schlimmstenfalls als Weg in einen kulturell begründeten Rassismus, wie im Falle der indogermanischen Arier-Ideologie.
Am Ende hat sich Eco aber doch der Faszination der Idee einer vollkommenen Sprache nicht ganz entziehen können: Er wünscht eine neue „Welthilfssprache (WHS)“, eine Art Esperanto für Gebrauchsanweisungen technischer Geräte, Beschlüsse internationaler Gremien und päpstliche Ansprachen. Ob der Papst sich darauf einlassen würde? Dann wäre „Urbi et orbi“ ja in einer halben Stunde durch! jl
Umberto Eco: „Die Suche nach der vollkommenen Sprache“. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Verlag C.H. Beck 1994, 388 Seiten, geb., 48 DM.
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