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„Eine Schande für Dreux“

Franzosen gegen Immigranten, Rechte gegen Linke, Zentrum gegen Vorstädte: Mißtrauen in der Provinzstadt. Und 55 Prozent für die Front National.  ■ Aus Dreux Dorothea Hahn

Eine Schande für Dreux ist das“, seufzt die blonde Geschäftsfrau. Neben ihrer Kasse liegt das amtliche Endergebnis der Kantonalwahlen, das sie aus der Lokalzeitung ausgeschnitten hat, weil sie es auch eine Woche danach noch nicht richtig glauben mag. Das 35.000-EinwohnerInnen-Städtchen hat mit absoluter Mehrheit die rechtsextreme Front National gewählt – 55 Prozent für eine Politik gegen das Fremde. Nirgendwo sonst ist die Partei so stark. Die Franzosen in den „Problemvierteln“ der Vorstädte von Dreux kann die Geschäftsfrau irgendwie noch verstehen – „wegen der vielen Araber“ –, aber daß auch die weit entfernten Landgemeinden, wo es nichts als alteingesessene französische Bevölkerung gibt, mit bis zu 71 Prozent für die Rechtsextremen stimmten, ist ihr ein Rätsel.

Die Front National beackert Dreux schon lange. Mitte der 70er Jahre erkor sie die kleine Industriestadt für den Aufbau einer rechtsextremen Basis aus. Der hohe ImmigrantInnenanteil, die sich abzeichnende wirtschaftliche Depression, die Arbeitslosigkeit und die Nähe zur Pariser Banlieue mit ähnlichen Problemen machten den Ort zum geeigneten Experimentierfeld. Der damals zweite Mann der Front National, Jean- Pierre Stirbois, erklärte grundsätzlich alle Probleme von Dreux mit der Immigration. Die Arbeitslosigkeit, die Unsicherheit auf den Straßen, die Wohnungsnot. Mit Erfolg: 1983 war die Partei im Rathaus das Zünglein an der Waage geworden. Seither ist sie in der Opposition so stark wie die SozialistInnen. 1989 kam Stirbois bei einem Autounfall ums Leben, den seine Anhänger für einen Anschlag halten. Seither trägt seine Witwe Marie-France Stirbois die rechtsextreme Staffel. Sie hatte von Anfang an Erfolg bei den BürgerInnen von Dreux. Mit sanfter Stimme trägt sie vor, was viele denken und schon an ihrem Gatten schätzten: „Die Ausländer sind schuld.“ Allein der Front-National-Kandidatin trauen die Drouais zu, daß sie in der Lage ist, „das Problem“ zu lösen.

Die BürgerInnen von Dreux haben ihre Stadt frühjahrsfein gemacht. Die Schaufenster der Fachwerkhäuser sind blankgeputzt, dahinter posieren Schokoladenhasen mit bunten Halsschleifen und auf Stroh arrangierte Käsespezialitäten wie die würzige „Feuille de Dreux“. Zwischen den Häusern weht der Duft von frischem Brot durch die Gassen. Um diese Jahreszeit kommen die ersten englischen TouristInnen nach Dreux. Auf halber Strecke zwischen der Normandie und Paris tauchen sie in den langsamen Rhythmus des alten Frankreich ein. Sie besichtigen die Überbleibsel der massigen Befestigungsanlagen, die Königskapelle und das Rathaus, das von dem Wohlstand der Drouaiser Bürger zeugt. Manche bleiben über Nacht, bevor sie zu den nahegelegenen Loire-Schlössern weiterfahren.

Die Industriebetriebe, die sich seit dem letzten Jahrhundert in Dreux angesiedelt haben, liegen auf den Hügeln rundum. Heute werden hier noch Fernseher – ein paar hunderttausend pro Jahr – und Autoteile produziert. Eine Menge Fabriken sind seit den 70er Jahren verschwunden. Nach der lakonischen Analyse der ÖkonomInnen hatten sie „zuviel Personal und veraltete Technik“. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt beträgt 14 Prozent – ein wenig mehr als der französische Durchschnitt.

Auf den Hügeln, umgeben von Wiesen und Wäldern, liegen auch die Vorstädte von Dreux. Die Siedlungen entstanden Anfang der 60er Jahre, als Algerien unabhängig wurde. Um seine Stadt zu vergrößern, hatte der damalige Bürgermeister von Dreux, ein ehemaliger französischer Gouverneur in Algier, über 2.000 algerische Familien geholt. Bis heute heißt die Aktion „Repatriierung“. Die Kinder und Kindeskinder jener „Heimgeholten“ sind in den vierstöckigen Bauten geblieben. Die meisten haben längst die französische Staatsangehörigkeit und werden von keiner Statistik mehr als „Ausländer“ erfaßt. Die rund 25 Prozent AusländerInnen des heutigen Dreux sind entweder die AlgerierInnen der ersten Generation oder die später hinzugekommenen ImmigrantInnen aus Schwarzafrika.

„In Algerien haben wir den Auswurf eingesammelt, dafür büßen wir jetzt“, bedauert eine Sekretärin. Autodiebstähle und Handtaschenraube sind in Dreux nicht häufiger als in vergleichbaren Provinzstädten. Die Beteiligung von AusländerInnen an dieser Kleinkriminalität ist geringer als ihr Anteil an der Bevölkerung. Anders ist in Dreux, daß seine BürgerInnen die „Araber“ verantwortlich machen.

Eine Hauswand am Markt ist das letzte Zeugnis der Schlacht vor den Kantonalwahlen. „Immigration gleich Unsicherheit“ und „Sozialismus gleich Korruption“ steht auf den blau-gelben Plakaten der Front National. Die anderen politischen Plakate sind nach der Stichwahl vom 27. März aus dem Stadtbild verschwunden.

Nachdem aus dem ersten Wahlgang die Rechtsextreme und der Sozialist als stärkste Kandidaten hervorgegangen waren, hatte sich eine „Republikanische Front“ gegen die Front National gebildet. Von den Konservativen bis zu den KommunistInnen mobilisierten alle DemokratInnen gemeinsam für den Sozialisten Maurice Ravanne. Zu spät. Die einwöchigen Bemühungen konnten den rechtsextremen Sieg nicht verhindern. Schon 1983 bestimmte die Front National die Politik in Dreux. Damals ließen sich die Konservativen von den Rechtsextremen zum Bürgermeisteramt verhelfen – und zur Wachablösung der SozialistInnen. Der Preis für die rechtsextremen Stimmen war ein Sitz für die Front National im Rat und der landesweite Ruf von Dreux als Hochburg der Front National.

Jean Hieaux, der dank der Front National Bürgermeister wurde, sitzt heute noch in dem großen Büro des Rathauses mit der hölzernen Kassettendecke. Der Konservative glaubt nicht, daß die einstige Zusammenarbeit der Grund für die heutige Stärke der Rechtsextremen ist. Auch nicht, daß der Ratsposten sie erst salonfähig gemacht hat. Schließlich sei der Rechtsextreme „nur für Feuerwehrfragen und Katastrophenpläne“ zuständig gewesen. Die Front National ist nach Ansicht des pensionierten Bankiers stark, „weil es Arbeitslosigkeit und zu viel Immigration gibt“ und weil die Sozialisten in Paris jahrelang „eine Politik der offenen Grenzen“ betrieben hätten. Ein besonderes Problem in Dreux vermag er nicht zu erkennen. Daß seine Stadt trotz der breiten „Republikanischen Front“ für die Rechtsextremen stimmte, erklärt er damit, daß viele konservative WählerInnen es nicht über sich brachten, ihre Stimme einem Sozialisten zu geben.

Wenn es dabei bleibt, wird die Rechtsextreme Marie-France Stirbois im nächsten Jahr Bürgermeisterin von Dreux. Ein Alptraum für Konservative wie SozialistInnen. Aber eine Gegenstrategie fällt niemandem ein. Der konservative Bürgermeister will weiterhin Bäume pflanzen und das Abwassersystem verbessern. Die Kontrolle der „illegalen Immigranten“ hat er bereits verschärft – das sei mit der neuen konservativen Regierung in Paris viel leichter geworden. Auch in Sachen Sicherheit hat er etwas vorzuweisen: Seit November patrouillieren 30 Mann von der mobilen Polizeitruppe CRS, die sonst nur in Großstädten eingesetzt sind, in der Provinzstadt.

Der bei den Kantonalwahlen geschlagene Sozialist Maurice Ravanne hat es schwer, wenn er seine vielschichtigen Erklärungen für die Krise und die Arbeitslosigkeit liefert. Im Wahlkampf der letzten Wochen hat er RassistInnen getroffen, bei denen „kein Gespräch mehr möglich ist“. Seither glaubt er, daß der Einzug der Front National in das Bürgermeisteramt kaum noch aufzuhalten ist. Die DemokratInnen seien viel zu uneinig und die AnhängerInnen der Rechtsextremen zu fanatisch, sagt der weißhaarige pensionierte Schulrektor.

In diesen Tagen ist die Front National von Dreux im Siegestaumel. An ihrem Parteisitz am Rand des historischen Stadtkerns bessern zwei hemdsärmelige Männer die tiefen Löcher in der Hausfassade aus. Seit einem Brandanschlag im Dezember ist sie stellenweise verkohlt. „Wir sind einfach die Besten“, prahlen die Männer.

Für die Rechtsextremen steht in Dreux der Friede des Abendlandes auf dem Spiel. „Lange wird es nicht mehr dauern, bis ein Franzose sein Gewehr zieht und auf einen Araber schießt“, sagt Jacques d'Autrêmes, Kaufmann und Front- National-Mitglied der ersten Stunde. Ein praktizierender Christ ist er nicht. Dennoch spricht er von dem bevorstehenden Krieg zwischen Islam und Christentum und prognostiziert „einen kleinen Libanon“ für Frankreich. Im Kantonalwahlkampf hatten die Front- National-Anhänger Pistolen mit Gummigeschossen dabei – „zum Schutz vor Angriffen in den Vorstädten“.

In La Bergeronette, das die Polizei als besonders „heiße Vorstadt“ einstuft, kam es am Freitag vor der Stichwahl zu einer Vorübung für den Libanon. Front-National-Anhänger klebten Plakate, Jugendliche aus La Bergeronette versuchten, sie zu vertreiben. Die Jugendlichen – Angehörige der „zweiten Generation“ – schmissen Steine, die Rechtsextremen antworteten mit Schüssen. Die Polizei kam, bevor es Verletzte gab.

Laut Statistik haben 57 Prozent der BürgerInnen von La Bergeronette die Front National gewählt. Zugeben will das niemand. Die Jugendlichen haben zum größten Teil ihr Stimmrecht wegen wiederholter Straftaten verloren. Die alten ImmigrantInnen durften noch nie wählen, weil sie keine Franzosen sind. Die „echten Franzosen“, die in den Sozialwohnungen von La Bergeronette leben, halten sich bedeckt. Auf die „Araber“, die angeblich Keller anzünden, Kinder in der Schule verprügeln und Autos klauen, schimpfen sie alle.

La Bergeronette sieht aus wie eine Ansammlung seitlich aufgestellter Schuhkartons. Von den Jugendlichen hat kaum jemand eine Arbeit, oder auch nur die Aussicht darauf. „Wir schlagen uns durch“, erklärt ein 20jähriger und schleudert sein vierzackiges Sternmesser vor sich auf den Boden. Bei seinem Freund hat so ein Messer eine tiefe Narbe auf der Stirn hinterlassen.

Ein Mofa mit plattem Hinterrad fährt vor. Keiner weiß, wo der Kumpel mit dem dichten Lockenschopf das Gefährt herhat, aber alle wollen zu einer Proberunde aufsteigen. Vielleicht liegt die Karre ja schon morgen verkohlt in einem Waldstück. Manchmal – wenn gerade ein Auto zur Hand ist – fahren die jungen Männer bis ans andere Ende von Paris in die Disko. Meistens sind sie in La Bergeronette, neben der Schnellstraße, deren Rauschen Tag und Nacht durch die Siedlung schallt.

„Vielleicht sind unsere Eltern ja Algerier geblieben“, sagen sie, „aber wir gehören hier hin.“ Die Front National – „Faschisten wie Hitler“ – ist den jungen Männern so verhaßt, daß sie jedesmal zuschlagen, wenn sie „einen von denen treffen“. Bisher ist es in Dreux selten soweit gekommen. Doch für die jungen Männer ist es nur eine Frage der Zeit, bis es in Dreux knallt. „Dann wird das hier ein neues Sarajevo“, sagt Nabil.

Der Wind wirbelt Plastiktüten und Papier zwischen den Häusern hindurch. Auf den Betonstufen zur Nummer elf sitzt eine junge Frau. Ihre Eltern sind ImmigrantInnen. Schon immer fand sie es „unangenehm“, wenn sie für eine Algerierin gehalten wurde, obwohl sie Französin ist. Seit den Kantonalwahlen kann sie an nichts anderes mehr denken. „Es wird große Änderungen geben hier“, sagt sie, „ich habe Angst.“

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