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Trendy Bikes aus East Germany

Fahrräder aus Ostdeutschland rollen wieder, darunter zwei altbekannte Marken / Sie treffen auf einen Markt, der an sich gesättigt ist  ■ Von Helmut Dachale

Die Radrennfahrer der DDR waren berühmt und gefürchtet, die Fahrräder aus volkseigener Produktion dagegen nur gefürchtet. Unter Bikern ein gern gepflegtes Bonmot. Seine erste Aussage ist nachweislich richtig, die zweite Kolportage. Zwar ist es der Planwirtschaft bis zum Schluß nicht gelungen, die simple Dreigang-Nabenschaltung nachzubauen, und so manches glücklich erworbene Stahlroß war schludrig montiert. Aber etwa Diamant-Rahmen aus Karl-Marx-Stadt, auf denen auch „Täve“ Schur und Bernhard Eckstein ihre Weltmeisterschaften nach Hause fuhren, hatten den Ruf des ewigen Lebens.

Jetzt stehen in den Schaufenstern der Bike-Shops zwischen Stralsund und Plauen vor allem trendy City- und Trekkingbikes mit Chrommolybdän-Rohren und Shimano-Schaltungen. Und in der ersten Reihe – kleine Überraschung – sind nicht selten die Modelle aus Neufünfland. 400.000 Räder waren es 1993, fast zehn Prozent der gesamtdeutschen Jahresstückzahl, zusammengeschraubt in sechs Fertigungsbetrieben.

Unter dem Markennamen Diamant wurden bereits Ende des vorigen Jahrhunderts in Chemnitz Fahrräder gefertigt. Zwischenzeitlich Tochtergesellschaft der Opel AG, kam die Fabrik 1952 in Volkseigentum. In den besten Zeiten verließen jährlich weit über 200.000 Fahrräder die Werkshallen. Heute erstellen bei der Diamantfahrradwerke GmbH noch 120 Mitarbeiter 50.000 Räder. Edle Zutaten kommen von den Marktführern Shimano und Sun Tour sowie von Fichtel & Sachs, die Rahmen werden wie vordem selbst konstruiert und handverlötet. Der Versuch, Bewährtes mit Innovationen zu vereinen und dabei noch preisgünstig zu sein, brachte letztes Jahr eine Umsatzsteigerung von etwa 60 Prozent.

Ab- oder Entwicklung?

1992 gingen nur 15 Prozent der Jahresproduktionen an die östlichen Läden, 1993 war es die Hälfte. Der Renner im Radladen „Fahrradies“ in Halle: ein Damenmodell, bei dem der altehrwürdige Schwanenhals-Rahmen mit moderner Fünfgang-Nabenschaltung bestückt ist. Zu haben für weniger als 700 DM. Hochzufrieden mit seinen Pretiosen ist auch Eckbert Schauer, Geschäftsführer des Ostberliner Fachgeschäfts „Ostrad“, das sogar siebzig Prozent seines Umsatzes mit Modellen aus Chemnitz macht: „Gute Rahmen konnten die schon immer machen. Und heute stimmt auch das Preis-Leistungs-Verhältnis.“Ähnlich begeisterte Händleraussagen über die Produkte des anderen traditionsreichen DDR-Herstellers sind seltener. Gemeint sind die der Mitteldeutschen Fahrradwerke (MDF), weiland als „Mifa“ der größte Velo-Hersteller der DDR. In den Geschäften der alten Bundesländer sind die Räder aus Sangerhausen kaum vertreten. Die für 1993 angekündigte Westoffensive scheint folgenlos geblieben zu sein. Trotz Präsentation auf allen wichtigen Zweiradmessen waren westliche Fachhändler kaum von den den Mitteldeutschen zu überzeugen. Auch die Kollegen aus dem Osten bleiben auf Distanz.

Lange hatte die Treuhandanstalt MDF wie Sauerbier anbieten müssen. Die ersten Käufer, eine sinistre Hamburger Investorengruppe, machten nach kurzer Zeit von ihrem Rückgaberecht Gebrauch. Auch wirkt der nicht besonders gute Ruf aus der DDR- Ära – mehr Masse als Klasse – noch nach. Und es hat sich herumgesprochen, daß bestellte Räder manchmal gar nicht oder zu spät ausgeliefert wurden. Von 1.400 Mifa-Beschäftigten sind ganze 121 MDF-Kollegen übriggeblieben. Dafür wurde in der turbulenten Phase zwischen Abwicklung und Entwicklung die Produktpalette kräftig aufgestockt. Doch die rasante Kreierung neuer Modellreihen brachte eher Verwirrung denn Absatz. Da hilft auch kein Spezialfahrzeug für den Arbeitsweg, ein „Special-Bike“ mit Rahmen aus mehrfach verleimtem Eschenholz, laut Katalog „die einzige Alternative, mit der Banker, Börsianer und Broker standesgemäß per Bike chauffieren“. Mehrheitsbesitzer bei MDF sind jetzt wie bei Diamant Schweizer. Doch während sich die Villinger-Gruppe im Metier auskennt, sind die MDF-Aufkäufer branchenfremd.

Drang nach Osten

Damit sind sie die Ausnahme unter den sechs Herstellern, die nun auf dem Boden der ehemaligen DDR Fahrradproduktionen betreiben. Die anderen sind anerkannte Branchen-Insider, die bei der Ausspähung geeigneter Standorte in Ostdeutschland schneller waren. Josef Schmid, Geschäftsführer des Verbandes der Fahrrad- und Motorrad-Industrie, lobt die seiner Organisation angeschlossenen Zweiradhersteller: „Vorbildlich und mit großem Engagement“ nähmen sie ihre Rolle im Aufbauwerk Ost wahr.

Doch schon sitzen die Pantherwerke aus Bad Wildungen, die bei der Übernahme der VEB Kinderfahrzeuge Mühlhausen 60 Arbeitsplätze garantieren mußten, auch schon in Polen, der Tschechischen Republik und im Baltikum, wo die Löhne nur Bruchteile betragen. Und die Heidelberger Biria Bike Group, deren Tochter „Sachsen- Zweirad“ die meisten Räder in Ostdeutschland produziert (2.000.000 Einheiten 1992), sammelt östliche Beteiligungen wie manche Menschen Kreditkarten, in Slowenien, Polen, in Tschechien gleich mit zwei Fabriken und bald in Weißrußland.

Auch im Zweiradfach gilt die Faustregel: Wer Massenware herstellt, schnell zusammengebacken aus einfachen Einzelteilen, ist erfreut über die Bedingungen in Wroclaw oder Minsk. Wer dagegen auf hochwertige Komponenten Wert legt und auf qualifizierte Facharbeiter angewiesen ist, bleibt im Lande und wagt sich allenfalls bis nach Deutschland Ost vor. Das trifft auf den gehobenen Anbieter Winora zu, der in Nordhausen Überreste der IFA-Motorenwerke in die hochmoderne Fahrrad GmbH Südharz verwandelt hat, die mal 300.000 Räder ausstoßen könnte. Ebenso auf die Derby Cycle Werke. Sie haben einen Teil der Fertigung von Cloppenburg nach Rostock verlegt und für ihre prächtigen Hallen mit Rahmenbau- und Lackierungsanlage knapp 40 Millionen investiert. Der Standort Rostock hat einiges zu bieten: den Hafen als Tor zum skandinavischen Markt und Facharbeiter aus der maroden Werftindustrie, die auf Staatskosten anforderungsgerecht ausgebildet wurden. Und die zudem – wie Derby- Chef Wolfgang Schlüter zu berichten weiß – kerngesund und hochmotiviert sind. Der Krankenstand beträgt drei Prozent gegen 13 Prozent in Cloppenburg.

Auf dem Radmarkt bläst jetzt der Wind von vorn, die Billigimporte aus Fernost werden weiterhin auf die Preise drücken. Wer da als europäischer Hersteller zu Innovationen nicht fähig ist, könnte versuchen, sich selbst als Dumpinganbieter in den Vordergrund zu drängeln. So könnte sich der eine oder andere Produzent von seiner ostdeutschen Filiale wieder verabschieden und noch weiter gen Osten ziehen.

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