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Franzosen und Belgier setzen sich über UNO hinweg

■ Während die 2.500köpfige Blauhelmtruppe den Massakern in Ruanda untätig zusehen mußte, verhalten sich belgische und französische Einheiten weniger neutral

Prominentestes Opfer des neuen Krieges in Ruanda ist die UNO. Ihre 2.500köpfige Blauhelmtruppe im Land mußte wegen ihres auf Selbstverteidigung beschränkten Auftrages untätig zusehen, wie Soldaten der ruandischen Präsidialgarde Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichteten. Und der vom UNO-Ruanda-Beauftragten Jacques-Roger Booh- Booh am Freitag abend vermittelte „Waffenstillstand“ samt Bildung einer neuen Regierung ist Makulatur: Waffenstillstandspartner sind die reguläre ruandische Armee und die Polizei, Hauptkontrahenten bei den jetzigen Kämpfen sind aber die Präsidialgarde und die RPF-Guerilla, die beide an den Gesprächen nicht teilnahmen.

Dennoch war dieser „diplomatische Erfolg“ Grund genug für den UNO-Sicherheitsrat, seine am Freitag begonnene Ruanda-Sondersitzung abzubrechen und die vom UNO-Generalsekretär verlangte Verstärkung der Blauhelmtruppe und Ausweitung ihres Mandats nicht weiter zu behandeln. Am Samstag traf der Rat erneut zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen – aber nur zum Zuhören: Frankreich, Belgien und die USA informierten über ihre mittlerweile erfolgte Truppenentsendung.

Damit scheint Ruanda zur Lage von 1990 zurückgekehrt. Damals marschierte die RPF-Guerilla zum ersten Mal auf die Hauptstadt zu, Frankreich und Belgien schickten Soldaten zur Evakuierung ihrer Landsleute und griffen zugleich dem bedrängten Staatschef Habyarimana militärisch unter die Arme. Welche Rolle damals die Belgier und die bis zur Ankunft der UNO-Truppe im vergangenen Sommer in Ruanda stationierten Franzosen im Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Guerilla gespielt haben, bleibt ein dunkles Kapitel. 1990 zirkulierten Berichte über ruandische Armeeeinheiten, die in Begleitung belgischer Soldaten Dörfer angegriffen und Zivilisten getötet hätten.

Anfang 1993 beschuldigte die RPF-Guerilla Frankreich, auf Regierungsseite in die Kämpfe einzugreifen – eine seither auch von Menschenrechtsorganisationen wiederholte Kritik. Frankreich gilt dazu als Hauptlieferant des ruandischen Militärs. Daß jetzt die RPF die erneute französische Präsenz mit Mißtrauen betrachtet, ist vor diesem Hintergrund klar. Die Umstände des erneuten Eingreifens sind seltsam genug: Zunächst 280 Franzosen übernahmen am Samstag früh offenbar kampflos den Flughafen von Kigali von der ruandischen Präsidialgarde. Als jedoch später belgische Flugzeuge mit militärischem Gerät dort landen wollten, war die Piste von Fahrzeugen der ruandischen Armee blockiert, während zugleich französische Evakuierungsflüge stattfanden. Sollten die Belgier, wie geplant, 800 Fallschirmjäger nach Kigali schicken, gäbe es in Ruanda zweierlei Belgier: belgische Soldaten und belgische UNO-Blauhelme.

Die RPF begreift Frankreich als potentiellen Gegner. Man werde bei der Evakuierung von Zivilisten „kooperieren“, sagte RPF-Sprecher Claude Desaidi am Samstag. Dazu seien aber „nur zehn bis zwölf Stunden erforderlich“. Falls die Franzosen danach nicht wieder gingen, könnten sie angegriffen werden. RPF-Kommandant Paul Kagame warnte, die Franzosen dürften sich der Guerilla bei deren Vormarsch „nicht in den Weg stellen“. Frankreich selbst visiert für die Militäraktion einen Zeitraum von 48 Stunden an. Gestern wurde jedoch eine weitere Truppenverstärkung angekündigt. Dominic Johnson

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