: „When the music is over – turn out the lights“
■ Vor zehn Jahren wurde die Startbahn West in Betrieb genommen
Frankfurt/M. (taz) – Vor zehn Jahren standen zehntausend Menschen mit Wut im Bauch vor einer Mauer aus Beton – an der Startbahn West des Rhein-Main-Flughafens bei Frankfurt am Main. Mehr als zehn Jahre Kampf gegen die Rollbahn der Frankfurter Flughafen AG (FAG) lagen da hinter den AktivistInnen aus den Bürgerinitiativen, den beiden Kirchen, den Parteien vor Ort und der autonomen Brigaden aus den Metropolen der Region: ein verlorener Kampf. Denn am 12. April 1984 hoben von der hart umkämpften Startbahn die ersten Flugzeuge ab. „Up and away“ auf der Runway 18-West – und zurück blieben tief in der Seele verwundete Menschen aus Mörfelden-Walldorf, aus Rüsselsheim und Nauheim, aus Raunheim und Kelsterbach. Ihr Herzblut hatten sie vergossen für den Kampf gegen die verhaßte Startbahn, für die eine riesige Schneise in „ihren“ Wald gewalzt worden war. „Die letzte Schlacht gewinnen wir“, sprühten die letzten Optimisten am 12. April 1994 auf die „Schandmauer“ im Mönchbruchwald.
Doch in die „letzte Schlacht“ zogen drei Jahre später andere. Auf der Strecke blieben dabei zwei tote Polizisten und eine endgültig zerschlagene Bewegung, die – länger als irgendwo sonst in dieser Republik – auf allen Ebenen einen letztlich aussichtslosen Kampf gegen ein Großprojekt geführt hatte. Zehn Jahre sind seit dem Wochenende nach der Inbetriebnahme vergangen, an dem sich noch einmal zehntausend Menschen aufgerafft hatten, um am „Chaoteneck“ an der Startbahn und entlang der Mauer ihren Widerstand zu demonstrieren – mehr oder weniger gewaltfrei.
Idyllisch ist es (scheinbar) heute im Mönchbruchwald zwischen Mörfelden-Walldorf und der Opelstadt Rüsselsheim. Uralte Bäume stehen in der Brachlandschaft. Auf den fetten Wiesen grasen ganze Rudel von Dammwild. Und im Lindensee tummeln sich Haubentaucher und Enten. Im Gartencafé der Mönchbruchmühle trifft sich an sonnigen Nachmittagen eine multikulturelle Gesellschaft zu Kaffee und Kuchen, denn im altehrwürdigen Fachwerkhaus auf der anderen Seite der Bundesstraße hat der Landkreis Groß-Gerau Flüchtlinge aus aller Welt untergebracht.
Doch die Idylle ist gar keine: Über die Köpfe der AusflüglerInnen und AsylbewerberInnen hinweg donnern in Minutenabständen die Maschinen der Fluggesellschaften aus aller Welt nach Westen. Zuerst ist es nur ein Summen in der Ferne. Dann erfüllt ein pfeifendes Geräusch die Luft. Und wie ein brüllendes Tier taucht danach das Flugzeug über dem Waldrand auf. Die Kaffetassen tanzen auf den Untertellern, jedes Gespräch erstirbt – und der Schatten der Maschine huscht über die Tische und Bänke und über die Menschen, die sich die Ohren zuhalten und sich instinktiv ducken. Der Mönchbruchwald – ein ausgewiesenes Naherholungs- und Naturschutzgebiet.
Wie eine Krake frißt sich der Weltflughafen Frankfurt/Main weiter in das letzte zusammenhängende Waldgebiet der Rhein- Main-Region. Für Cargo-City-Süd sollen demnächst wieder Bäume fallen – und an die werden sich keine Demonstranten mehr ketten oder Nägel in ihr Holz treiben. Die Bewegung ist mausetot. Nur die versammelte „Erbengemeinschaft“ im Landtag und in den Stadtparlamenten von Frankfurt/ Main und Mörfelden-Walldorf führt noch Scheingefechte mit der FAG und ihren wachstumshungrigen Anteilseignern: der Stadt Frankfurt/Main, dem Land Hessen und der Bundesrepublik Deutschland. Bei Bündnis 90/ Die Grünen fanden sich (fast) all die Exponenten der Bewegung wieder zusammen, die sich als legendäre Führerinnen der Anti-Startbahn-Bewegung einen Namen gemacht hatten: Dirk und Wilma Treber aus Mörfelden-Walldorf, Leo Spahn aus Kelsterbach – und selbst noch der härteste autonome Startbahnkämpfer, Achim Bender aus Rüsselsheim, sitzt heute für Bündnis 90/ Die Grünen im Stadtparlament und war dort einer der härtesten Kämpfer für eine Koalition seiner Partei mit der CDU.
Lassen wir „Lederjackenfighter“ Achim Bender deshalb das Schlußwort zur Startbahnbewegung und zu Bündnis 90/ Die Grünen sprechen: „In den Verruf der Machtpolitik sind auch Teile der hessischen Grünen gekommen. Seitdem in Wiesbaden (mit der SPD) verhandelt wird, glauben einige, diese Bürgerinitiative könne wie ein Lichtschalter an- und ausgeschaltet werden. Da möchte man doch mit dem Knüppel dazwischenhauen.“ Der letzte macht halt das Licht aus. Oder um es mit Jim Morrison zu sagen: „When the music is over – turn out the lights.“ Klaus-Peter Klingelschmitt
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