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Lebensqualität durch das Schwänzerkomitee Von Andrea Böhm

In den alten, vermeintlich guten Zeiten waren der Lehrer- und der Polizistenberuf in den USA noch zwei grundverschiedene Dinge. Die einen jagten Verbrecher, wofür ihnen Hollywood ein eigenes Filmgenre schuf; die anderen brachten Kindern Lesen, Schreiben und die richtige Reihenfolge der Präsidenten bei, was allerdings nie Stoff für Drehbücher und Heldengeschichten hergab.

In den neuen, schlechten Zeiten verschwimmen die Grenzen. Lehrer müssen lernen, mit Metalldetektoren umzugehen – und mit Schülern, die auf der Toilette mit Knarren handeln. Polizisten tragen ihren Teil zur Schulbildung bei, indem sie auf dem Schulhof Wache schieben. Der New Yorker Bürgermeister Rudolph Guiliani hat nun den Aufgabenbereich seiner Polizei erweitert: Seit letzter Woche patroullieren in Manhattan, der Bronx, in Queens, Brooklyn und Staten Island die Kollegen vom „Schwänzerdezernat“. Deren Einsatzgebiet: Videotheken, Spielhallen, Supermärkte, Plattenläden, Basketballcourts. Ihre Aufgabe: Schulschwänzer aufgabeln, in den Polizeibus laden und zurück in die Schule fahren. Bürgermeister Guiliani verspricht sich und den New Yorkern von dieser Maßnahme eine „Verbesserung der Lebensqualität“.

„Lebensqualität verbessern“ – das klingt immer gut. Nun fragt man: wessen Lebensqualität? Den beteiligten Polizisten geht es zweifellos besser. Es ist dem eigenen Leben weitaus zuträglicher, 15jährige aus der Spielhalle zurück ins Klassenzimmer zu scheuchen, als Crackdealer an der Straßenecke aufzugabeln und ins Polizeirevier zu bringen. Den beteiligten Lehrern geht es so oder so schlecht. Ihre Lebensqualität wird kaum dadurch erhöht, daß die Polizei Schulschwänzer in die ohnehin überfüllten Klassen zurückbringt. Eine Gehaltserhöhung würde schon eher dafür sorgen, die Stimmung zu heben. Inzwischen verdienen in vielen Bundesstaaten Gefängniswärter mehr als Highschool-Lehrer. Dafür dürfen letztere mehr und Vielfältigeres leisten: Geschichte, Mathematik, Biologie, Drogenberatung, Krisenmanagement und ab und an ein bißchen Selbstverteidigung.

Den betroffenen Jugendlichen geht es zweifellos erst einmal schlechter. Schließlich haben sie eindeutig kundgetan, daß sie nicht in die Schule wollen. Immerhin 15 Prozent von New Yorks 1,1 Millionen Pennälern ziehen es an jedem beliebigen Tag vor, dem Unterricht fernzubleiben und statt dessen Lebenserfahrung auf der Straße zu sammeln. Die Straße ist gefährlich – doch das ist die Schule auch. Ein Drittel der Schüler an New Yorks öffentlichen Highschools gibt an, mindestens einmal in der Schule physisch bedroht worden zu sein. Jeder fünfte trägt inzwischen eine Waffe.

Was der New Yorker Bürgermeister also unter „Verbesserung der Lebensqualität“ versteht, ist gar nicht so einfach herauszufinden. Um die Qualität der Schulbildung geht es jedenfalls nicht, denn Guiliani möchte im Haushaltsjahr 1995 über 300 Millionen Dollar bei den öffentlichen Schulen einsparen. Betrachtet man die Sache mit Guilianis Augen, dann ist die Maßnahme durchaus folgerichtig und hat zwei entscheidende Vorteile: Sie beinträchtigt die Lebensqualität des Rudolph Guiliani nicht; und sie hilft, zusätzliche Kosten für das „Schwänzerdezernat“ zu decken.

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