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„Wir müssen auf das Individuum setzen“

Im September soll in Kairo eine Weltbevölkerungskonferenz stattfinden / Im UN-Hauptquartier diskutieren derzeit VertreterInnen aus aller Welt einen Aktionsplan  ■ Aus New York Ingrid Schneider

Mangelnde Disziplin kann man den TeilnehmerInnen der „Prepcom3“ – dem letzten Vorbereitungstreffen zur Weltbevölkerungskonferenz (ICPD), die im September in Kairo stattfindet – nicht unterstellen. In den tageslichtlosen Räumen des New Yorker UN-Hauptquartiers diskutieren seit einer Woche weit über tausend Delegierte aus aller Welt den 83 Seiten dicken Entwurf des „Aktionsplans Bevölkerung und Entwicklung“, der die Marschrichtung für die nächsten 20 Jahre festlegt.

Fraueninitiativen stellen einen großen Teil der über 700 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die zur Prepcom zugelassen sind – neben Umweltgruppen, privaten Familienplanungsinstitutionen, Gewerkschaften, Kirchen bis hin zu „Lebensschützern“. Auch haben viele Länder profilierte NGO- Frauen in ihre Regierungsdelegationen mit aufgenommen. Die deutsche Delegation ist nur mit Männern besetzt und damit rückschrittlicher als der Vatikan.

Als neuer Konsens, so Nafis Sadik, Generalsekretärin der ICPD und Chefin des UN-Bevölkerungsfonds UNFPA, habe sich die Integration von Bevölkerungspolitik in Konzepte wirtschaftlicher, sozialer und umweltgerechter Entwicklung durchgesetzt: „Wir müssen auf das Individuum als Schlüssel zum Ausbalancieren von Bevölkerung und Ressourcen setzen“, betont Sadik. Die „Investition in Frauen“ spiele dabei eine Kernrolle, da sich gezeigt habe, daß Bildung, Einkommen und Gesundheitsversorgung für Frauen ein wirksamer Weg zur Senkung der Geburtenrate sei.

Schon in den ersten Tagen kristallisieren sich einige Streitpunkte heraus: Veränderte Familienstrukturen bilden ein eigenes Kapitel im Abschlußentwurf. Die Staaten werden aufgefordert, durch Kindergärten, flexiblere Arbeitszeiten und andere Lohnstrukturen der Realität Rechnung zu tragen, daß sich die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter auflöst und viele Haushalte von Frauen allein geführt werden. Die in der G77 organisierten Länder der „Dritten Welt“ wollen dagegen die Familie als „natürliche Keimzelle“ der Gesellschaft wieder festschreiben.

Der Vatikan konzentriert – mit Unterstützung der islamischen und einiger katholischer Länder, wie Nicaragua und den Philippinen – seine Kräfte darauf, das im Dokument anerkannte Recht von Frauen auf legale und sichere Abtreibung zu verhindern. Das bevölkerungspolitische Establishment – lange Zeit ein Hauptgegner von Feministinnen – koaliert in diesem Punkt mit Frauenorganisationen. Generell hat sich die Bevölkerungslobby zusammen mit den USA zur Fürsprecherin des „Empowerment“ – der Verhandlungs- und politischen Entscheidungsmacht von Frauen – gemacht. Statt von Familienplanung spricht man nun von „reproduktiver Gesundheit“, statt von Bevölkerungskontrolle vom „unerfüllten Bedarf“ an Verhütungsmitteln.

Viele Frauen sind skeptisch ob dieser veränderten Rhetorik, werden doch auf der anderen Seite von IPPF, Population Council und anderen Stiftungen lange wirksame Verhütungsmittel (Dreimonatsspritzen, das fünf Jahre wirksame Implantat Norplant, Antischwangerschaftsimpfung) entwickelt und verbreitet, die von Frauen nicht mehr selbst kontrolliert bzw. entfernt werden können, gesundheitsschädlich sind und ein hohes politisches Mißbrauchspotential bergen. Sie fordern die Etablierung von internationalen Rechenschafts- und Kontrollmechanismen, die sicherstellen, daß keine Zwangsmaßnahmen angewandt werden und die körperliche Integrität und die freie, selbstbestimmte Entscheidung von Frauen und Männern gewahrt bleibt.

Die chinesische Regierungsdelegierte Peng Yu bekannte sich dazu, daß bei Familienplanungsprogrammen kein Zwang angewandt werden dürfe, da dies die Menschenrechte verletze; angesichts der rigiden Ein-Kind-Politik, Zwangsabtreibungen und Eugenik-Gesetzen Chinas ein Satz, auf dessen Einlösung Frauen-, Menschen- und Bürgerrechtsgruppen immer wieder insistieren müssen. Gleichzeitig pochte China auf die nationale Souveränität der Länder und betonte, daß das Recht auf freie Entscheidung von Individuen und Paaren über ihre Fortpflanzung auch Pflichten gegenüber dem Staat einschließe.

Bella Abzug, Vorsitzende der US-Frauen- und Umweltorganisaton WEDO, warnte davor, die Interessen von Frauen auf Verhütungsmittel zu reduzieren: Frauen brauchten „Macht über ihr Leben, Kontrolle über ihren Körper, physische und emotionale Sicherheit, Bildung und ökonomische Unabhängigkeit“. Die Förderung von Frauen dürfe nicht lediglich als Instrument zur Geburtensenkung begriffen werden. Daher bekämpfen Frauen auch die Reduktion von Menschen auf statistische Variablen. Statt dessen fordern Frauen- und Umweltorganisationen, das Entwicklungsmodell der Industrieländer in Frage zu stellen und deren Ressourcenverbrauch und die „Luxus-Emissionen der Reichen“ im Kairoer Abschlußdokument zu brandmarken.

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