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Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill

Von Johannesburg nach Pietersburg: Es war eine dieser ganz gewöhnlichen, mörderischen Kurzreisen. Der Minibus hoffnungslos überladen, die Überholmanöver kriminell, das Gaspedal durchgedrückt. „Fahr langsamer!“ hatten die Passagiere den Fahrer noch gebeten. Zu spät. Bei Tempo 140 platzte ein Reifen, der Kleinbus überschlug sich. Der Unfall bei Hammanskraal kostete drei Fahrgäste das Leben, darunter Alex Schmoke, ein 25jähriger Schwarzer aus Baltimore, Maryland.

Warum erzählen wir gerade diese Geschichte? Sterben in Südafrika jedes Jahr nicht Tausende von Menschen durch Gewalt und Terror? Wieso ein Verkehrsopfer aus der Anonymität heben? Die schlichte Antwort: Weil wir Alex gekannt haben und weil er ein großartiger Kerl war. Es ist keine drei Monate her, da kam er hier an. Er hatte einen Rucksack dabei, ein paar Familienfotos und jede Menge Enthusiasmus. Er fuhr gleich weiter nach Lebowa, in eines jener Menschenreservate, in die das Apartheidregime Millionen von Schwarzen deportiert hatte: staubiges, dürres Land, wenig Jobs, miserable Schulen, keine Chancen auf ein besseres Leben. Mittendrin die Missionsschule Pax, eine Insel der Hoffnung für 550 Kinder, das Ziel von Alex Schmoke. Hier unterrichtete er Englisch – sein Beitrag zum neuen Südafrika.

Terroranschläge? Beleidigungen durch weiße Rassisten? Heimweh? Das einzige, wovor sich Alex wirklich fürchtete, waren Schlangen. Deswegen hatte er sich Stiefel mit besonders hohen Schäften zugelegt. „Meine Lebensversicherung“, sagte er lachend, als wir ihn das letzte Mal sahen.

Schon nach einer Woche gehörte Alex zu den beliebtesten Paukern. Der humorvolle Amerikaner wurde sogar zum Idol, an dem sich die Schüler innerlich aufrichteten. Sie spürten: Der hat es weit gebracht, der läßt sich von den Weißen nicht demütigen. Alex strahlte black consciousness aus, schwarzes Selbstbewußtsein. Das hat auch seine Kollegen angesteckt. Unvergeßlich, wie cool sie eine Pieterburger Kneipe enterten, aus der hin und wieder „kaffirs“ herausgeprügelt werden. Alex voraus, der Rest hinterdrein. Und kein Bure hätte ihm dumm kommen dürfen.

Alex hatte nicht dieses sentimentale Ding mit den „schwarzen Brüdern und Schwester in Afrika“. Er war einfach gekommen, um zu helfen. Vorher hatte er noch gejobbt, um die Reise zu finanzieren. Denn die Georgetown University hatte ihr Hilfsprogramm wegen der lebensbedrohlichen Lage vor den Wahlen drastisch gekürzt. Ein Auto konnte sich Alex nicht leisten. Um von A nach B zu gelangen, mußte er in einen der rasenden Särge steigen. Die helldrivers fahren möglichst viele Kunden möglichst schnell: Transportwesen im Apartheidstaat, jeden Tag grausige Unfälle. Am Ostersonntag endete Alex Schmokes kurzer Lebensweg in einem verdammten Straßengraben irgendwo im Transvaal. In einem Plastiksack der US- Army wurde seine Leiche nach Baltimore zurückgeflogen, wie die sterblichen Überreste aller Amerikaner, die im Ausland umkommen. Der gewaltige Unterschied: Alex hat nicht für irgendeine sinnlose Sache gekämpft. Er starb nicht in Vietnam, sondern in Lebowa – ein unbekannter Soldat des Friedens. Fare well, Alex, wir werden dich nie vergessen.

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