„Bloß nicht kirre machen lassen“

■ Geisteswissenschaftler bekommen doch Jobs / Viele werden Journalisten Von Kaija Kutter

Welcher Germanistik-, Geschichts- oder Sprachenstudent kennt sie nicht, die hartnäckig wiederkehrende Frage bei Verwandtentreffs: „Was studierst du nochmal?“ „Und was wirst du damit werden?“. Hartnäckige Sticheleien von Onkel und Tante, die zu der trotzigen Haltung führen: „Laßt mich doch in Ruhe, ich studier' nur für mich und arbeitslos werd' ich hinterher sowieso, na und!“

Die schlimmste Hürde für junge Geisteswissenschaftler sei die Gerüchteküche und die Abwertung, sagt die Professorin Martha Meyer-Althoff. Dadurch werde bei Studienanfängern eine Blockade ausgelöst, die verhindert, daß sich Studenten realistisch mit dem Berufsziel auseinandersetzen.

Die Professorin für Hochschuldidaktik hat zum vierten Mal innerhalb von 14 Jahren untersucht, was aus jenen Menschen wurde, die einen „Magister“ haben, den Abschluß, mit dem seit Anfang der 60er Jahre Studierende der Geisteswissenschaft in die Berufswelt entlassen werden. Fazit der gestern veröffentlichten Umfrage, an der sich immerhin 76 Prozent der Absolventen der Jahrgänge '87 bis '89 beteiligten: Sie kommen gut zurecht, besser jedenfalls, als landläufig angenommen. 81 Prozent sind berufstätig. Die übrigen machen überwiegend ihren Doktor oder sind Hausfrau und Mutter, sind also nicht auf Suche nach einem Arbeitsplatz. Zum Vergleich: Bei einer Anfang der 80er durchgeführten Umfrage war ein Drittel der Abgänger nicht befriedigend vermittelt gewesen.

Die größte Gruppe, 27 Prozent, wurde Journalist, dicht gefolgt von in der Wirtschaft Beschäftigten (20 Prozent) und dem Bereich Werbung, Public Relations, Marketing (12 Prozent). Gut ein Fünftel arbeitet freiberuflich oder ist selbstständig tätig. Neu im Vergleich zu früheren Befragungen: Die Zahl der AkademikerInnen mit zeitlich befristeten Verträgen ist mit 17 Prozent so gering wie nie zuvor. Und die Zufriedenheit war noch nie so groß: Nur 12 Prozent hätten lieber einen anderen Beruf.

Meyer-Althoff hat die Befragung absichtlich mit drei Jahren Verzögerung durchgeführt: „Wenn man hören will, daß alle arbeitslos werden, muß man sie direkt nach dem Examen fragen“. Denn die Arbeitgeber stehen nicht am Campus Schlange. Knapp die Hälfte (44 Prozent) brauchte ein halbes Jahr und länger, um unterzukommen. Geisteswissenschaftlern stehen zwar viele Berufe offen, aber nicht jeder wird automatisch Cheflektor bei Suhrkamp. Es muß sich auch schon mal ein promovierter Germanist bei einer Werbeagentur für ein Anfängergehalt von 3000 Mark brutto plagen. Und ohne „aktives Bemühen“ wie unaufgeforderte Bewerbungen, Praktika oder freie Mitarbeit wird so leicht keiner auf sie aufmerksam.

Sind nun ausgerechnet Geisteswissenschaftler die Gewinner auf dem Arbeitsmarkt? Jene Gruppe, die die oft beschworenen „Schlüsselqualifikationen“ beherrscht? „Ich würde diesen Begriff gerne wieder dahin packen, wo er hingehört: in die Erziehungswissenschaft“, sagt Meyer-Althoff. Denn Teamfähigkeit müsse schließich jeder Schüler heute lernen. Wohl aber sei Geisteswissenschaftlern die Fähigkeit zueigen, sich schnell einzuarbeiten, neu zu lernen und mit Chaos umzugehen. Eine Fähigkeit, auf die es gerade in Kommunikationssituationen manchmal ankomme. Meyer-Althoff: „Kennen Sie den Witz? Trägt der Professor auf, das Telefonbuch auswendig zu lernen. Fragt der Mediziner: 'Bis wann?', der Jura-Student: 'Wo steht das?', der Geisteswissenschaftler: 'Warum?'.