: Schlappe Kontrolle bei den Schlapphüten
■ Erst 35 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes auf Stasi-Mitarbeit überprüft / Stasi wußte über das Amt fast alles
Bis zum heutigen Tag sind erst 35 Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz von der Gauck-Behörde auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit überprüft worden. Der Verfassungsschutz hat 1992 insgesamt 161 Einzelanfragen und eine Sammelanfrage gestellt, berichtete gestern der Geheimschutzbeauftragte Klaus Müller vor dem Parlament. Nur bei etwas mehr als einem Zehntel der Mitarbeiter liege bislang eine Antwort vor, die durchgehend negativ sei. Müller schloß aus, daß ein „Maulwurf“ in seinem Amt gesessen habe. Denn: Die Stasi habe „genug Erkenntnisse“ über die Strukturen und Arbeitsweise der Westberliner Schlapphüte gehabt. Unter anderem verfügte das damalige Mielke-Ministerium über die Gehaltsliste des Amtes in Dahlem und kannte über 300 Mitarbeiter, also fast alle. Der Informant, ein Mitarbeiter des Landesverwaltungsamtes, ist längst verurteilt.
Die Auskunft des Geheimschutzbeauftragten überraschte gestern um so mehr, weil die Akten der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes von der Gauck-Behörde schon 1992 weitgehend durchforscht wurden. Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) hatte über 100.000 Untergebene überprüfen lassen und 1.800 Beschäftigte gekündigt. Auch das Parlament wurde längst „gegauckt“ – der undurchsichtige Geheimdienst dagegen offenbar verschont.
Im November 1991 war bekannt geworden, daß die Staatssicherheit die Privattelefone von 500 Verfassungsschützern und deren Bekannten abgehört hatte. Diese Nachricht sorgt bei den rund 300 Mitarbeitern in Dahlem für „heftige Unruhe“, erinnerte sich gestern ÖTV-Sekretär Ingo Hinz, der knapp 70 organisierte Geheimdienstler betreut. Doch er wisse nur von zwei Fällen, in denen es zu disziplinarrechtlichen Verfahren gekommen sei: „Die Mitarbeiter sind bis heute im Amt.“
Weder Verfassungsschutz noch Innenverwaltung wollten gestern bestätigen, daß „verbrannte“ Mitarbeiter ausgetauscht wurden. Wie wichtig aber der Wechsel des Personals wäre, ist Innenstaatssekretär Armin Jäger (CDU) seit zwei Jahren bekannt. Damals berichtete er dem Senat, daß die politische Umstellung in Osteuropa „nicht zur Einstellung von Ausforschungsmaßnahmen“ geführt habe. Es gilt als sicher, daß der damalige KGB ebenfalls über die Erkentnisse der Stasi verfügte und seine Nachfolgeorganisation diese bis heute nutzt.
„Sämtliche Maßnahmen, die damals zu ergreifen waren, sind ergriffen worden“, sagte gestern der Sprecher der Innenverwaltung, Hans-Christoph Bonfert, auf Anfrage. Doch bislang ist nur eins bekannt: Als im November 1991 das Parlament die 500 Karteien und Akten der Stasi zur Telefonüberwachung besprechen wollte, waren sie plötzlich weg. Heckelmann hatte sie zwei Tage zuvor an den Generalbundesanwalt weitergegeben – nicht ohne vorher selbst hineinzugucken. Was aus der Kartei wurde, war gestern nicht zu erfahren. Dirk Wildt
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