: Eine Strategie der Abschiebung in Etappen
■ Einige tausend ehemalige DDR-VertragsarbeiterInnen, die Mehrzahl von ihnen aus Vietnam, sind ab kommenden Sonntag ohne gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland. Wer weder Arbeitsplatz noch...
Einige tausend ehemalige DDR-VertragsarbeiterInnen, die Mehrzahl von ihnen aus Vietnam, sind ab kommenden Sonntag ohne gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland. Wer weder Arbeitsplatz noch ausreichenden Wohnraum nachweisen kann, dem droht die Abschiebung Richtung Heimat – die sie aber nicht haben will.
Eine Strategie der Abschiebung in Etappen
Für einige tausend Vietnamesen, Angolaner und Mosambikaner, die die DDR einst als Gastarbeiter ins Land geholt hatte, ist der kommende Sonntag ein schwarzer Tag. Wer von den ehemaligen VertragsarbeiterInnen nicht bis zum 17. April bei den Ausländerbehörden der Kommunen einen Antrag auf Bleiberecht gestellt hat, muß Deutschland verlassen. „Das ist eine Deadline“, sagt Volker Klett, Leiter des Berliner Büros für die Ausländerbeauftragte des Bundes und für die Ausländerbelange in Berlin und den neuen Ländern zuständig. Vorläufig bleiben dürfen laut Beschluß der Innenministerkonferenz vom Mai vergangenen Jahres nur die Frauen und Männer, die bis zum 17. April ihren Lebensunterhalt mit einem Arbeits- oder Ausbildungsvertrag nachweisen konnten, über genügend Wohnraum verfügen, keinen Asylantrag laufen haben und nicht straffällig geworden sind. Der Bleibeantrag, sofern positiv entschieden, muß alle zwei Jahre neu eingereicht werden. Haben sich beim nächsten Termin die Voraussetzungen geändert, heißt es: Auf Nimmerwiedersehen in Deutschland.
Langfristig ist daher diese Bleiberegelung eine Ausweisungsregelung, eine Strategie der Abschiebung in Etappen. Und es ist eine Lex „Ost“. Denn die Ungleichbehandlung zu den „Gastarbeitern“ in der alten Bundesrepublik ist offensichtlich. Hier erhielten ausländische Arbeitnehmer zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die nach fünf Jahren in eine unbefristete und nach acht Jahren in eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung umgewandelt wurde.
Dabei handelt es sich im Unterschied zu den westlichen Bundesländern nur um eine verschwindend geringe Zahl. Um wieviele Menschen genau, weiß keiner. Sicher ist, daß Ende 1989 etwa 100.000 „Gastarbeiter“ in der DDR lebten, heute nur noch zwischen 15.000 und 20.000, die überwiegende Anzahl vietnamesischer Nationalität. „Ich hoffe, daß von ihnen mindestens 8.000 die Bleibevoraussetzungen erfüllen“, sagt Volker Klett. Eine Umfrage bei den Ausländerbeauftragten von Berlin und den neuen Ländern ergab, daß diese Schätzung realistisch ist: Weniger als die Hälfte aller DDR-Arbeitsmigranten leben ab Sonntag ohne jeden Aufenthaltstitel in Deutschland. Die Angolaner und Mosambikaner werden vermutlich ins Asylverfahren flüchten, viele Vietnamesen aber in den „Untergrund“. Dies befürchten jedenfalls Beratungsstellen und kritische Ausländerbeauftragte. Denn mit legaler Arbeit sieht es ab Montag schlecht aus. Bisher galt für die Ex-Vertragsarbeiter nicht die „vorherige Arbeitsmarktprüfung“, ab jetzt müssen Arbeitgeber eine offene Stelle erst vier Wochen lang Deutschen anbieten. In Sachsen und Brandenburg haben sich deshalb viele kommunale Ausländerräte noch in dieser Woche verzweifelt bemüht, ihre Vertragsarbeiter irgendwo unterzubringen.
Von den in Sachsen etwa 6.300 lebenden Ex-Vertragsarbeitern erfüllen zwischen 30 und 40 Prozent nicht die Bleibebedingungen. Der dortige Ausländerbeauftragte Heiner Sandig (CDU) macht für diese geringe Zahl auch die Behörden verantwortlich: „Manche Ausländerbehörden erwecken den Eindruck, als sei es eine besondere Güte, die Befugnis zu erteilen“, sagte er. Seine Mitarbeiterin Christine Krebs präzisiert, daß viele Kommunen erst dann die Bleibevorschriften erfüllt sehen, wenn der Antragsteller mindestens vier Monate eine geregelte Arbeit nachgewiesen habe. Das Regierungspräsidium in Dresden hingegen verlange nur einen Monat geregelte Arbeit. Wieviele Ex-Vertragsarbeiter aber tatsächlich eine Ausweisungsverfügung erhalten werden, wird erst nach Ablauf der Antragsfrist am 17. April feststehen. Bis jetzt sind nur 220 Anträge abgelehnt worden, die meisten laut Innenministerium wegen „leichter Kriminalitätsdelikte“.
In Berlin wird diese Ablehnungszahl wesentlich höher ausfallen. Von den etwa 4.000 Ex-Vertragsarbeitern erfüllen „zwei Drittel nicht die Bedingungen“, sagt der Sprecher des Innensenats. Hier will man mit einer besonders rigiden Kriminalitätsüberprüfung vor allem die Vietnamesen aus der Stadt haben. Das Bleiberecht haben schon diejenigen verwirkt, die ein einziges Mal mit ein paar Stangen Schmuggelzigaretten oder beim Schwarzfahren erwischt worden sind. Der Justizsenat bestätigte, daß allein gegen Vietnamesen 3.000 Ermittlungsverfahren anhängig sind. Die Straffälligkeitsregelung werde viel zu „kleinlich“ gehandhabt, empört sich die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU). Wieviele Ex-Vertragsarbeiter aber tatsächlich einen Ausweisungsbescheid erhalten, traut sich die Innenbehörde nicht zu sagen. Und wahrscheinlicher als in jedem anderen Bundesland ist hier, daß die Vietnamesen durch die harte Handhabung der Bleiberechtsregelung erst recht in die Illegalität gedrängt werden.
Denn wohin soll man die paar tausend Vietnamesen, die man in Deutschland nicht haben will, auch abschieben? Vietnam ist nach Auskunft des Auswärtigen Amts das einzige Land der Welt, das seine eigenen Staatsbürger nicht wiederhaben will. „Das stimmt nicht“, empört sich der für die Vertragsarbeiter zuständige Botschaftsrat in Berlin, Ha Van Thang. „Wenn die Vertragsarbeiter nicht mehr in Deutschland leben wollen oder dürfen, dann sollen sie doch zur Botschaft kommen und Papiere beantragen.“ Nach Auffassung einer Sprecherin des AA eine „sehr interessante“ Behauptung, denn sie empfindet schon als „großen Erfolg“, daß Hanoi „wahrscheinlich im Juni“ über einen von der Bundesregierung erstellten „Entwurf für ein Rückübernahmeabkommen“ verhandeln will. Über die Mitfinanzierung von Wiederansiedlungsprojekten etc. steht allerdings in diesem Entwurf noch nichts. Aber allen Experten ist klar, daß die Bundesregierung ihre Ausweisungsverfügungen nur dann wird durchsetzen können, wenn viel Geld nach Vietnam fließt. Anita Kugler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen