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Es kann nicken!

■ Nach Taufe und Stapellauf zog ein blaues Kamel triumphal in Bremen ein, und damit hat Blaumeiers „Blaue Karawane 1994“ praktisch schon begonnen

Weil Gott die Seinen liebt, schob er am Samstag punktlich um 11.30 Uhr mit einer müden Handbewegung die Wolken weg und ließ die Sonne scheinen über einer Zeremonie, die ihresgleichen nicht hat: Ein riesiges blaues Kamel wurde getauft und dann zu Wasser gelassen.

Dreihundert waren nach Vegesack gekommen, viele mit einem Schiff namens „Schiff“, die Verrückten zu sehen, die auf der Aucoop-Werft beim Bremer Vulkan ein riesiges blaues Wasserkamel bauten, damit es im Sommer eine „Blaue Karawane“ anführe von Leipzig nach Bremen über Elbe und Weser. Für alle, die nicht müde werden zu glauben, daß das Glück nicht in den satten, faulen, bürgerlichen Normalbiografien nistet – daß man das Glück vielmehr erwandern und erfahren muß und man froh sein kann, solche Wegbegleiter zu haben: Irre, Gaukler, Entwurzelte, Theaterleute, Vertriebene, Musiker, Menschen ohne oder mit seltsamen Berufen, eben Künstler aller Art. Leute, die man sich gern mit Mitleid vom Hals hält; dabei wissen sie vom Glück mehr als die Satten und Faulen.

Und siehe: das Kamel hat wunderschöne Augen. Ein weiches Fell. Kann mit dem Kopf nicken. Mit den Höckern wackeln. Es kann wandern. In neun Einzelteile zerfallen und wieder zusammenwachsen. Aber kann es schwimmen?

Es wurde gehörig getauft auf den Namen „Wüna“, weil es ein Wüsten-Narrenschiff sein soll. Und dann schwebte es unter dem Tuten anwesender Schiffe am Haken eines Kranes in sein Element: die Weser. Es schwamm. Die kleine „Ostertor“-Fähre schleppte die seltsame blaue Fracht in die Innenstadt, und das Volk folgte auf dem „Schiff“, und „Lauter Blech“ machte den Klang, und russische Containerschiffe ließen ergriffen ihr Horn ertönen. Die Menschen am Ufer winkten der Phantasmagorie hinterher.

Groß ist die Utopie vom bunten fröhlichen Zug der Ausgegrenzten, klein bisher die Zahl der Spender und Mäzene, die ihn ermöglichen wollen. Und so mischten sich in die Rufe der Begeisterung und des Entzückens über das wundersame Tier auch nachdenkliche Reden über Zahlen. Das „Blaue Haus“, Organisator der Blauen Karawane, das (ideell) vom Personal der legendären Bremer Psychiatriereform bewohnt wird, kratzt vierstellige Beträge zusammen, wo sechsstellige nötig wären. Schon wird überlegt, ob man (ideelle) Anteilsscheine am Kamel ausgeben sollte, ein Schenkelchen vielleicht für zehntausen Piepen?

In der Stadt angelangt, folgten dem klingenden Zug mit Kamel durch die Gassen zum Rathaus wieder zahllose, als könnten sie gar nicht anders. Klaus Pramann, Nervenarzt und Kopf des Unternehmens, stand von der Sonne beschienen einen Moment abseits und sann: „So viele Leute – das ist ja schon fast eine Karawane!“ Glück lächelte aus seinen Augen, wie überhaupt es aus allen Augen zurücklächelte, in die man blickte. Schon wird zum Ereignis selbst, was eigentlich zu Werbezwecken auf das Ereignis hinweisen sollte.

Nach einem endlosen ernsten Blick aufs Rathaus zog die Karawane vor die Liebfrauenkriche, wo die unvergleichliche Blaumeier-Truppe sich auf die Abendvorstellung ihres „Fast Faust“-Stückes vorbereitete. Die Begegnung der Blaumeiers mit dem Blauen Kamel geriet zu einem atemberaubend schön improvisierten theatralischen Akt, auf dessen Höhepunkt das blaue Kamel ein blaues Kamelchen gebar.

Dann kamen die Lastwagen des Recycling-Hofes, aber keine Sorge: das Kamel wird dort sicher aufbewahrt, bis es auf die große Reise geht. Und so groß die Sorgen der Veranstalter sind, ob die nötigen Geldmittel aufzutreiben sind: Die Blaue Karawane gibt es schon. Mögen Bierbrauer, Lottomittelvergeber und Geldinstitutsleiter ihre Ohren verschließen – die Karawane zieht weiter.

Burkhard Straßmann

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