piwik no script img

■ Offener Brief an Richard von WeizsäckerShalom, Herr Bundespräsident!

Schindler ist tot, Zündler lebt noch. Die Premiere von „Schindlers Liste“ haben Sie sprachlos verlassen. Jetzt sollten Sie sich tatkräftig für einen noch lebenden Judenretter einsetzen, der in Deutschland fast vergessen wurde. Der 75jährige Alfons Zündler ist krank und bettlägerig. Er hat weder eine staatliche Auszeichnung noch eine Entschädigung oder eine Rente bekommen. Vielleicht, weil der Judenretter ein SS-Unterscharführer war.

Wieso setzt sich gerade ein Israeli für einen Ex-SS- Mann ein? Ganz einfach, weil er Juden das Leben gerettet hat. Zahlreiche niederländische Juden erklärten öffentlich, sie hätten Zündler ihr Leben zu verdanken. In Amsterdam hatte er während des Zweiten Weltkrieges Hunderten geholfen, vor den Transporten in die Todeslager zu entkommen. Deswegen wurde er 1943 zum Tode verurteilt, später als Kriegsversehrter begnadigt und verbrachte fast zwei Jahre in Haft, darunter im KZ Dachau. Das Jad-Vashem-Institut in Jerusalem hat vor, Zündler als einen der „Gerechten unter den Völkern“ auszuzeichnen. Da zwei Juden in der Regel drei Meinungen vertreten, hatten niederländische Juden gegen die Preisverleihung protestiert. Das Institut für Kriegsdokumentation in Amsterdam wurde beauftragt, ein Gutachten zu erarbeiten, das in diesen Tagen vorliegen wird.

Der SS-Mann setzte sich für Juden ein. Seine Begründung: „Die Menschen haben mir leid getan.“ Zündler hatte trotz der vehementen staatlichen Diffamierung die Juden nicht als Angehörige einer Rasse, sondern als Individuen angesehen. Deutschland braucht Figuren wie Zündler mehr denn je. Denn in dieser Republik verschwindet so oft der einzelne Mensch in einem Nebel aus Klischees und Pauschalisierungen. Kein Wunder, daß Experten sich um den feinen Unterschied zwischen Rechtsextremisten und Rechtsradikalen streiten (die ersten feiern den 20. April öffentlich, die anderen privat); daß Richter behaupten, die einfache „Auschwitzlüge“ allein sei nicht Beleidigung und Verhetzung genug, um sie zu verbieten; daß linke Skinheads irrtümlicherweise als Nazis zusammengeschlagen werden; daß Feinde dieser Demokratie die schwarzrotgoldene Fahne hissen und sich als „deutsche Patrioten“ präsentieren.

Zündler war ein deutscher Patriot, ein Soldat, ein SS-Mann, aber kein Nazi. Ein Nazi-Gegner war er vielmehr, der sich nicht Widerstandskämpfer nennt. Wenn er die Zivilcourage besaß, jüdische Menschen zu retten und damit sein Leben aufs Spiel zu setzen, sollten auch Sie den Schritt wagen und dem Menschen Alfons Zündler, solange er noch lebt, das Bundesverdienstkreuz verleihen. Er hat es verdient.

Hochachtungsvoll, Igal Avidan

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen