piwik no script img

„Angst alleine auf der Straße“

■ Szenen einer gescheiterten Ehe vor Gericht: Abschiebung vor Strafe

Monatelang wagte sie sich nicht allein auf die Straße. Drohungen, Schläge, Nötigung, Beschimpfungen und vor allem Angst – das stand für sie auf der Tagesordnung. Immer wieder drang er in ihre Wohnung ein. Immer wieder war sie ihm ausgeliefert. Szenen einer gescheiterten Ehe.

Die Geschichte von Güla H. beschäftigte mehrfach die Bremer Gerichte; beendet wurde sie dadurch nicht. Gestern nun wurde vor dem Schöffengericht ihr Ex-Ehemann Izzet H. angeklagt, seine Frau vergewaltigt zu haben – laut Gerichtssprache Nötigung, denn den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe gibt es nicht –, weiter wurde ihm Freiheitsberaubung, Diebstahl und Körperverletzung vorgeworfen. Das Opfer in allen Fällen: Güla H.. Verurteilt wurde der Mann nicht: Im Gerichtsgebäude wartete bereits die Polizei auf ihn, um ihn noch vor Verhandlungsbeginn in Abschiebehaft zu nehmen – nach der Scheidung erhielt Izzet H. keine Aufenthaltsgenehmigung mehr. Nach vier Stunden Verhandlung wurde daraufhin auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt – eine Möglichkeit der Strafprozeßordnung, wenn der Angeklagte ausgewiesen wird. Der Nebenklägerin Güla H. war's recht: „Ich will nur in Frieden wieder auf die Straße gehen können“. Die höchste Strafe für die angeklagten Vergehen wäre eine Bewährungsstrafe gewesen.

Die Ehe begann für deutsche Ohren ungewöhnlich: Am letzten Tag einer Urlaubsreise in die Türkei hatten Freundinnen von Güla, die bereits zweimal geschieden war und aus erster Ehe einen 13jährigen Sohen hatte, ihr den „guten Mann“ ans Herz gelegt – noch am selben Abend wurde Verlobung gefeiert. Zwei Monate später reiste die Frau zur Hochzeit in die Türkei. Nach nur drei Monate war die Ehe zerüttet – „abends ist er in den Imbiß gegangen zum Saufen, und dann hat er mich geschlagen“, berichtet Güla H.. Im Scheidungsprozeß wurde ihr die gemeinsame Wohnung zugesprochen – doch H. tauchte immer wieder dort auf. Nachts stand er vor der Eingangstür und klingelte Sturm, brüllte durch die Straße, sie habe Männer dort oben. Sie erwirkte gegen H. eine einstweilige Verfügung, in der ihm unter Androhung einer Geldbuße untersagt wird, sie oder ihren Sohn wörtlich oder tätlich zu belästigen oder die zu bedrohen. Das Schloß an ihrer Wohnungstür ließ sie austauschen.

Eines morgens soll H. sich morgens um sieben im Hausflur versteckt haben und in die Wohnung eingedrungen sein, als der Junge zur Schule wollte. Laut Anklageschrift hat Izzet seine Frau ins Schlafzimmer gedrängt und sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen. „Natürlich habe ich mich gewehrt, ja, ich habe ihm gesagt, daß ich nicht will“, muß die Frau auf Nachfragen des Verteidigers immer wieder beteuern – der geht sogar so weit, daß er die beiden nebeneinander Aufstellung nehmen lassen will, um nach dem körperlichen Vergleich zu beurteilen, ob die Frau sich hätte wehren können.

Nach dieser Vergewaltigung soll sie mit einem Messer bedroht und daran gehindert worden sein, die Wohnung zu verlassen. Einen Mann von einem Versandhaus, der in der Wohnung klingelte, habe sie gebeten, die Polizei zu rufen – sie wartete vergeblich. Schließlich habe sie H. vorgeschlagen, einkaufen zu gehen – „ich dachte, unterwegs könnte ich Hilfe bekommen“. H. zog sie an der Polizeiwache vorbei, drohte ihr. Sie habe niemanden ansprechen können – er war immer bei ihr. Schließlich sei es ihr gelungen, in Hausschuhen aus der Wohnung zu flüchten – sie sperrte H. gemeinsam mit ihrem Sohn in der Wohnung ein und kam 20 Minuten später mit der Polizei wieder. Die entfernte H. aus der Wohnung – von einer Vergewaltigung erzählte die verwirrte Frau zunächst nichts.

Einige Zeit später: H. fängt seine Ex-Frau und ihren Sohn an der Straßenbahnhaltestelle ab, hält sie fest und geht mit ihnen in ihre Wohnung. Auf dem Flur schreit sie um Hilfe: er hält ihr so gewaltsam den Mund zu, daß sie am nächsten Tag den Arzt aufsuchen muß. Die NachbarInnen drohen mit der Polizei – H. verschwindet.

Güla H. hat Angst. Ein Nachbar erzählt, daß H. einmal seine Stieftochter, die Güla auf einem Einkauf begleitete, weggeschubst habe. Immer ist jemand aus der Nachbarschaft dabei, wenn Güle auf die Straße geht. Nach dem Prozeß geht ein Aufatmen durch das Zeugenzimmer: endlich ist das vorbei.

Susanne Kaiser

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen