: „Ihre Fragen schienen vielfach schon beantwortet zu sein“
■ betr.: „Angst vor dem Ende kun terbunter Tage“, taz vom 29.3.94
Regelmäßige Begleiterscheinung bei Auseinandersetzungen zwischen Hausbesetzern und dem Magistrat bzw. der Polizei in Potsdam ist eine heuschreckenartige Plage durch Journalisten. Durch die dankenswert – offensive Berichterstattung der Bild (Räumt endlich die Terrorstraße!) sahen wir uns diesmal den freundlich- bohrenden Fragen von Journalisten u.a. des Spiegels, des Stern, des Focus-Magazins, „Spiegel-TV“, der taz und anderer Zeitungen und Fernsehsender gegenüber. Dabei haben wir folgendes beobachtet:
Ein Gros dieser neugierigen Menschen hat vor Jahren selber Häuser besetzt und verfügte sozusagen über fundiertes Grundwissen. Ähnlich wie Vertreter der 68er Generation oder der friedlichen Revolution von 1989 in der DDR zeichneten sie sich durch ein hohes Maß an Frustration und Angepaßtheit aus. Ihre Fragen schienen vielfach schon beantwortet zu sein. Und so war es wohl nur die Suche nach Anekdoten und Schlagzeilen, welche unsere sozusagen ehemaligen Kollegen nach Potsdam trieb (Zitat ORB: „Wir sind auf jeden Fall morgen vor Ort, ob Kundgebung, Randale oder so, wir sind da.“).
Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß Parallelen zwischen Hausbesetzungen in Potsdam, Rathenow, Straußberg, Luckenwalde, Frankfurt/Oder und anderswo zu finden sind. Die Natur der Sache ist nämlich der Widerspruch zwischen dem Grundrecht auf Wohnen und dem profitablen Privat- oder Staatseigentum an Wohnraum. Dieser Widerspruch wird jedoch grundsätzlich zum „Hintergrundfüllmaterial“ degradiert. Und somit wird unsere Einschätzung, daß Medien sensationslüstern Anekdoten verkaufen, wieder einmal bestätigt.
Dabei auftauchende Stilblüten runden dieses Bild formschön ab:
– Meldungen über anreisende Chaoten aus Hamburg, Rostock, Berlin,
– aus kaputten Fensterscheiben werden Straßenschlachten,
– Annette Rogalla von der taz weiß, daß die BewohnerInnen der Bertinistraße ihr Haus bei der Räumung anzünden wollen – da weiß sie mehr als die beschuldigten BesetzerInnen. Diese hatten wohlwissend abgelehnt, mit ihr zu reden.
So liefern unsere Kollegen den politisch Verantwortlichen und ihren Beamtenbütteln immer wieder Gründe für Repressionen (Durchsuchungen, Räumungen, Gefahr im Verzug etc.) [...] Steffen Heitmann, Potsdam
Hausbesetzer trifft man auf der Straße, und dort faßt der eine oder die andere Mut, sich dem szeneinternen Maulkorberlaß zu widersetzen.
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