: „Rußland ist keine Banananrepublik!“
■ Moskaus Bosnien-Vermittler Tschurkin gegen weitere Gespräche mit Serben / Kosyrew setzt auf Frankreich
Moskau (taz) – Bisher gehörte Witali Tschurkin zu den wenigen erfolgreichen Unterhändlern auf dem Balkan. Der Sonderbeauftragte der russischen Regierung genoß es sichtlich, der Welt zu demonstrieren, wozu die russische Diplomatie in der Lage sei. Um so heftiger reagierte er gestern auf das erneute Scheitern der Verhandlungen um die UN-Schutzzone Goražde. Die bosnischen Serben müßte endlich begreifen, daß sie es bei Rußland „mit einer Großmacht zu tun haben, und nicht mit einer Bananenrepublik“, so Tschurkin wörtlich.
Noch kurz zuvor hatte die politische Führung der bosnischen Serben dem Unterhändler zugesichert, einen Waffenstillstand einzuhalten und die Beschießung Goraždes einzustellen. Statt dessen intensivierten die serbischen Truppen ihre Angriffe. Sichtlich verärgert ließ sich Tschurkin daraufhin zu wenig diplomatischen Äußerungen hinreißen: „Eine Gruppe von Extremisten unter den bosnischen Serben ist an Kriegswahn erkrankt. Können wir es dieser Gruppe erlauben, die Politik des großen Rußlands zu mißbrauchen?“ fragte er ungewöhnlich offen, nicht ohne seine eigene Antwort hinzuzufügen: ein kathegorisches Nein.
Offenbar ist es dem Unterhändler ernst: Auf Meldungen vom Wochenende hin, denen zufolge die Nato erneut Luftangriffe auf die serbischen Stellungen bei Goražde plane, soll er Moskau aufgefordert haben, das Unternehmen „energisch zu unterstützen“. In der kroatischen Hauptstadt Zagreb hatte Tschurkin zuvor die Situation um die ostbosnische Stadt als „unkontrollierbar“ beschrieben.
Nur indirekt wollte dagegen gestern der russische Außenminister Andrej Kosyrew das Scheitern der Friedensinitiative eingestehen. Nach den Angriffen der Nato auf serbische Stellungen vor einer Woche hatte er noch das westliche Bündnis für die Eskalation der Gewalt in Ostbosnien verantwortlich gemacht – und damit die grundlegende, von der westlichen abweichende russische Sicht des Konflikts erneut unterstrichen. Erst nachdem die serbischen Truppen in den letzten Tagen die Bemühungen der Moskauer Blitzdiplomatie zur Makulatur gemacht hatten, präsentierte Kosyrew gestern in einem halben Rückzug eine neue Sicht der Dinge: „Das ist kein Western, sondern ein Bürgerkrieg ethnischen Ursprungs, in dem es weder Gerechte noch Schuldige, weder Engel noch Teufel gibt.“
Immerhin blieb der Außenminister dabei, daß an den Angriffen auf Goražde auch die bosnischen Muslime schuld seien. Diese provozierten nämlich weiterhin die Serben und zeigten kein Interesse an einem Abkommen zur Beilegung des Konfliktes. Trotzdem will Kosyrew die russischen Bemühungen um Frieden in Bosnien-Herzegowina nicht völlig einfrieren. Bei einem Besuch in Paris zeigte er sich gestern „weitgehend einverstanden“ mit einer neuen Initiative des französischen Außenministers Juppé. Der hatte am Montag einen EU-Entwurf für eine neue Bosnien-Resolution des UN-Sicherheitsrats vorgeschlagen und zur schnellen Ausarbeitung einer gemeinsamen Position durch Vertreter der UNO, der EU, der USA und Rußlands aufgerufen. khd
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen