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Die demokratische Balance halten

■ Nicht die Quotierung ist das Problem, sondern ein manipuliertes Wahlverfahren

„Bei Bündnis 90/Die Grünen stellt nicht der Vorstand die Wahllisten zusammen – hier entscheidet noch die Basis.“ Unter diesem Motto steht unsere samstägliche Versammlung. Unstrittig ist: KeinE KandidatIn (ob Mitglied oder nicht) darf von einer Kandidatur um einen aussichtsreichen Listenplatz ausgeschlossen werden. Das eigentliche Problem ist nicht die scheinbar verworrene Satzungslage. Daß Frauen mindestens die Hälfte der Listenplätze besetzen, ist nicht neu und auch gut so. Daß den Mitgliedern des Bündnis 90 eine paritätische Beteiligung an den Listenplätzen zugesichert ist, ist ebenfalls nicht neu. Auch unter diesen Bedingungen kann die Basis frei und ohne Pressionen entscheiden. Irrtümlicherweise wird angenommen, daß diese beiden Regelungen bedeuten, daß damit die innerparteiliche Demokratie unter den Hammer kommt. Das kann passieren, muß aber nicht. Die innerparteiliche Demokratie gerät erst unter den Hammer, wenn am Wahlverfahren bewußt manipuliert wird. Mit unserem üblichen Wahlverfahren sind Satzungslage und Demokratie diesmal nicht unter einen Hut zu bekommen. Dieses Verfahren ist leicht zu manipulieren und wird bereits zugunsten des Bü-90-Kandidaten manipuliert, indem erstens aus den Reihen des Bündnis 90 entgegen dem frauenpolitischen Anspruch unserer Partei keine mehrheitsfähige Kandidatin aufgestellt wird, und zweitens, indem dem bürgerbewegten Anspruch unserer Partei entsprechend zwar eine offene Liste propagiert wird, aber alle KandidatInnen, die vor der Vereinigung von AL und Bündnis 90 nicht Mitglied des Bündnis 90 waren, von einer Kandidatur auf einen der „Paritätsplätze“ ausgeschlossen werden.

Im Klartext: Offene Listen ja, aber nicht auf unseren Plätzen! Ausgeschlossen sind Ost-Grüne, parteilose KandidatInnen (etwa Mitglieder des Unabhängigen Frauenverbandes) und alle Mitglieder mit Wohnsitz im Osten Berlins, die erst nach der Vereinigung der Organisationen Mitglied wurden. Für die Wahl heißt das, daß auf den ersten Platz eine Frau gewählt wird, die die Bündnis-90- Definition nicht erfüllt, und somit für den zweiten Platz, der nunmehr dem Bündnis 90 zusteht und für Männer zugänglich ist, faktisch nur noch ein männlicher Kandidat des Bündnis 90 zur Wahl steht. Wählen wir nach diesem Schema weiter, steht der dritte Platz wieder einer „Nicht-Bündnis-90“-Frau zu. Am Ende haben wir eine Liste, die aus Bündnis-90-Männern und Ex-AL- Frauen besteht. „Nicht-Bündnis- 90“-Männer (2/3 unserer Mitgliedschaft) sind von der Kandidatur ausgeschlossen.

Folgt die Versammlung diesem Vorschlag, haben wir bereits die Personalentscheidung gefällt, ohne daß wir Namen, geschweige denn Positionen gehört haben. Demgegenüber liegen Alternativanträge vor, die unsere Satzung sicher in der Balance mit innerparteilicher Demokratie halten. Wie wäre es denn damit: Der Wahlgang um den ersten Platz ist offen für alle Frauen, der zweite für Frauen und Männer. JedeR KandidatIn kann wenigstens einmal frei um einen aussichtsreichen Platz kandidieren, und wir haben eine Wahl, die den Namen verdient. Sollte in beiden Wahlgängen keinE Bündnis-90-KandidatIn gewählt worden sein, greift beim dritten Platz das Paritätsgebot, und gewählt werden kann nur noch eine Kandidatin aus diesem Kreis. Die Parität ist somit erfüllt. Und wenn der dritte Platz nicht aussichtsreich genug ist, tauschen die Personen einfach den zweiten und den dritten Platz. Dann beginnt unsere Liste mit zwei Frauen – kein Problem!

Vielleicht sollten wir uns mal vor Augen halten, was unsere Bundestagscracks eigentlich machen sollen: Kohl abwählen und einen Politikwechsel in diesem Land herbeiführen! Die Auswahl der KandidatInnen hierfür muß aus politischen Gesichtspunkten erfolgen, nicht aus formalen. Andreas Schulze

Geborener Ostberliner, ehemaliges Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses

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