: Die Linke stänkert, weil sie gegen die Fusion ist
■ Es geht darum, ob sich das Bündnis 90 auf Absprachen verlassen kann!
Bei der Aufstellung der Bundestagsliste wird sich sowohl die Ernsthaftigkeit der Ex-ALerInnen, die deutsche Einheit anders zu machen, wie auch der praktische Wert der bündnisgrünen Fusion für die beigetretenen Ex- Bündnis-90-Mitglieder erweisen. Es geht mithin um existentielle Grundsätze, die über Sein oder Nichtsein des Gesamtberliner Landesverbandes entscheiden. Denn es geht darum, ob die, deren Partei nicht mehr existiert, sich auf Absprachen verlassen können, die Bedingungen für ihren Beitritt zur anderen Partei waren.
Einige wenige Ex-AL-Klüngel dagegen warten immer wieder mit ihren Küchenkabinettstückchen auf, wenn es ihnen politisch gegen den Strich und postenmäßig an den Kragen geht. Das kennen wir von diesen Leuten nicht anders, seit über die Vereinigung der beiden souveränen Parteien verhandelt wurde. Ob es der Name oder die innerparteiliche Vereinigung „Bürgerbewegung“ war, ob es die Bü-90-Quote im Bundesvorstand, im Landesvorstand oder bei der Europaliste war, ob es der Ostländerrat als Vetogremium war, oder als es darum ging, Bündnis 90 als rückschrittliche Frauenfeinde hinzustellen – es waren und es sind immer dieselben, die dagegengewettert, -gearbeitet und -gestimmt hatten und die es weiter tun werden. Dabei ist die jetzige politische Auseinandersetzung mit Gerd Poppe über Außen- und Verteidigungspolitik vor allem Vehikel zum Zweck.
Die mit dem Trend der Zeit und der Fusion ewig Unzufriedenen, die Bündnis 90 das Leben schwermachen und immer wieder Ärger und Feindschaft säen, wohnen meistens in Berlin. Und es ist auch nur eine Handvoll. Doch ausgerechnet die müssen als einziges Bundesland nun eine Bündnis-90/ Die-Grünen-quotierte Liste mit BundestagskandidatInnen mitaufstellen. Sie sind im Detail überfordert, weil ihnen das Ganze nicht paßt.
Dabei könnte es ganz einfach sein. Bündnis 90 hatte eine Wahlordnung als Satzungsanhang, die Wahlverfahren generell und ohne konkrete Personenlagen regelte. Dieses Verfahren war um etliches demokratischer, als wenn unter dem Eindruck von Kandidaturen jedesmal neu beschlossen wird. Die Wahlordnung ist im Fusionsprozeß von den AL-VerhandlerInnen abgelehnt worden. Das Prinzip eines (einmalig nur 1994 geltenden) Minderheitenschutzes für die Bü-90-Leute in Analogie zum Schutz der strukturell genauso benachteiligten Frauen ist nur widerwillig und nur in dem Maße, wie die Bundespartei Vorgaben machte, akzeptiert worden.
Der jetzige Streit zeigt nur zu gut, wie wichtig es war, daß Bündnis 90 Beitrittsbedingungen stellte. Es brauchte Gewißheit, daß die grüne Mehrheit nach der Vereinigung nicht macht, was sie will. Dabei muß es bleiben. Nun soll selbst die grüne Einzelplatzwahl gekippt werden, und absurde Wahlvorschläge machen die Runde. Selbst eine reine Frauenliste im durchsichtigen Vorschlagssammelsurium.
Warum das alles? Nur weil es keine spitzenkandidaturtaugliche Frau im Berliner Bü 90 gab. Nur so hätte das Duell Jochen Esser–Christian Ströbele auf Platz 2 stattfinden können. Nur so wäre man den unliebsamen DDR-Bürgerrechtler und menschenrechtsorientierten Außenpolitiker Poppe losgeworden. Nur deshalb der Versuch der Änderung bündnisgrüner Wahlgrundsätze. Würde Wolfgang Ullmann oder sagen wir mal Jens Reich in Berlin für den Bundestag kandidieren, hätten sie sich diese Frechheit kaum gewagt. Und deshalb wird das ganze Traumgebilde wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
Der Landesvorstand wird der Delegiertenversammlung vorschlagen, daß gemäß der beschlossenen Grundsätze verfahren wird: Einzelplatzwahl, Mindestquote für Frauen beginnend mit Platz 1 und dann für alle ungeraden Plätze, Bü-90/Die-Grünen-Parität (d.h. auf einem von zwei Plätzen muß ein ehemaliges Bündnis-90-Mitglied sein). Als Problem bleibt, daß ehemalige AL-Männer nicht kandidieren können, solange Frauen zur Verfügung stehen. Dieser Nachteil muß wegen höherrangiger Werte wohl billigend in Kauf genommen werden. Uwe Lehmann
Ostberliner, ehemals im Bündnis- 90-Vorstand, derzeit Leiter der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen und vormals Mitglied des Abgeordnetenhauses
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