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Und noch immer herrscht Krieg

Während die Verhandlungen zwischen der zapatistischen Guerilla und der Regierung ausgesetzt sind, tobt im mexikanischen Chiapas der eigentliche Kampf: der um das Land  ■ Aus San Cristóbal de las Casas Anne Huffschmid

Die Fassaden des Stadtpalastes strahlen in grellem Weißblau. Zweimal ist das Gebäude in den letzten zwei Monaten schon neu getüncht worden, um Schmierereien wie „Viva Zapata“ zu beseitigen. Und dabei hat es dann auch die Farbe gewechselt, von Eierschale bis Himmelblau. Schräg gegenüber erhebt sich die ockerfarbene Kathedrale majestätisch über den Platz. Drinnen predigt Bischof Samuel Ruiz den „Kreuzweg“: „...Gott wünscht die totale Befreiung seines gekreuzigten Volkes“.

Drei Monate nach dem zweitägigen Neujahrsspuk der Zapatisten macht das koloniale Königsstädtchen wieder einen aufgeräumten Eindruck. Die Panzerwagen haben sich schon vor Wochen aus seinen Kopfstein-gepflasterten Gassen zurückgezogen, Uniformierte schlendern nur noch über den artesania-Markt.

Und doch: Es herrscht Krieg in Chiapas. Und daß ein Waffenstillstand auch nach drei Monaten nichts anderes ist als eine Feuerpause, wird Besuchern spätestens dann klar, wenn sie aus dem pittoresken Kolonialstädtchen hinausfahren wollen.

Schon der Angestellte der Autovermietung hatte sich die neue Logik zu eigen gemacht. „Ein Überlebender des Krieges“, gluckst er vergnügt und weist auf den dunkelroten Käfer, den er seinen verdutzten Kunden zugedacht hat. Und tatsächlich zeugen ein dickes Einschußloch und mehrere Dellen im Blech davon, daß das Auto in die Schußlinie geraten sein muß. Es stellt sich heraus, daß der Käfer Anfang Januar ausgerechnet als Teil eines Journalistenkonvois beschossen worden war.

Kurz hinter San Cristóbal ist ein olivgrünes Zeltlager aufgeschlagen, ein paar Schützenpanzer ruhen sich auf den Wiesen aus. Schwerbewaffnete Soldaten bitten höflich um die Ausweispapiere. Pech für diejenigen, die nicht mal über den an sich obligatorischen Wahlausweis verfügen. Auch Benzinkanister oder andere waffenverdächtige Stoffe passieren die Sperre nicht. Anwohner berichteten, daß ihnen gelegentlich Lebensmittel abgenommen wurden. Argument: Die seien ja doch für die Zapatisten bestimmt.

Ausländische Journalisten aber dürfen ihre Kekstüten behalten. So geht es weiter durch eine seltsam trostlose Landschaft. Vereinzelte Pinien thronen über trockenen Feldern. Abgeholzte Wälder, Baumstümpfe allerorten. Verstreut ein paar Holzhüttchen, auf einigen blinkt ein funkelnagelneues Wellblechdach. Alle paar Kilometer prangt in roten Lettern „Solidarität“ – der Name des staatlichen Programms zur Armutsbekämpfung – am Straßenrand. Surreale Ortsschilder von „Zapata“ bis „Las Vegas“, Autowracks und dürres Gestrüpp. Es hat lange nicht geregnet.

Dann der vierte und letzte Kontrollpunkt hinter Ocosingo. Wie weit es noch bis zum „Grenzort“ San Miguel sei? „Immer geradeaus“, grinst der Uniformierte. Und versichert, von jetzt an gäbe es keine Kontrolle mehr. Hier beginnt die sogenannte zona franca, der schmale Korridor von Ocosingo bis zum Beginn des zapatistischen Territoriums. Weiße Fahnen flattern auf Dächern und in den Baumkronen. Über die verwilderte Vegetation zieht sich ein einsames Stromkabel.

Nach 25 Kilometern eines verschlungenen Schotterweges taucht endlich das magische Dörfchen auf: San Miguel, eine gottverlassene Ansammlung von Lehmhäusern, das plötzlich zum Checkpoint für Heerscharen von Journalisten aus aller Welt geworden war. Die mit Spannung erwartete erste Straßensperre der Zapatisten stellt sich als ein schmächtiger 15jähriger Knabe heraus. Dieser verschwindet mit den Presseausweisen im Dorf, ein paar Männer verstellen höflich, aber bestimmt den Weg. Nach einer halben Stunde Warten in der brütenden Mittagshitze dann die befürchtete Auskunft: In drei Tagen könnte man eventuell bis zur nächsten Sperre vorrücken.

Kollegen hatten uns gewarnt: Nach den mysteriösen Schüssen im fernen Tijuana hat die Guerilla nicht nur die Basisabstimmung mit ihren Gemeinden ausgesetzt, sondern auch die eigenen Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Und während im zapatistisch kontrollierten Regenwald „gespannte Ruhe“ herrscht – wie der Guerilla-Chronist Hermann Bellinghausen von „drinnen“ berichtet – tobt „draußen“ ein um so heftigerer Kampf um die tierra, das Land.

Viel Verständnis hat Doña Eugenia für die „illegalen“ Landbesetzer in ihrer Nachbarschaft nicht. „Die haben doch alle Land“, glaubt sie. Überhaupt seien das „ganz aggressive Leute“. Und sie warnt die Reisenden: „Die lassen sowieso keinen durch.“ Nicht Straßenblockaden, sondern fehlende Hinweisschilder an den steinigen Feldwegen erschweren den Ortsunkundigen dann aber die Suche nach dem Haus des Caralampio Jimenez.

Die Sonne schneidet scharfe Schatten auf den staubigen Fußboden im Hausinneren. Neugierig versammeln sich die Familienmitglieder um die Besucher, die auf den einzigen beiden Holzstühlen sitzen. Der Hausherr fehlt: Am Montag, dem 28. März, hatte Caralampio Jimenez den Landbesetzern mit seinem alten Lieferwagen wieder mal eine Ladung Lebensmittel gebracht. Obwohl selber gar nicht von den sogenannten „Invasionen“ betroffen, erbosten diese Hilfsaktionen den benachbarten Viehzüchter Alberto Argüelles über alle Maßen. „Warum bringst du denen was zu essen?“ hatte Argüelles seinen indianischen Nachbarn angeherrscht. Caralampio will erklären: „Sie bezahlen mich doch dafür...“ Es nützt nichts. In der Abenddämmerung fährt Argüelles vor dem Haus der Familie vor, ruft den Bauern heraus. Dieser tritt vor die Tür und will „die Sache gütlich bereinigen“, wie sein Sohn berichtet. Wieder Schreierei und Geschimpfe. Ohne aus seinem Auto auszusteigen, zieht Argüelles plötzlich einen Revolver und schießt dem Unbewaffneten in den Brustkorb. Nach ein paar weiteren Schüssen in die Luft fährt er davon. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus stirbt der schwerverletzte Mann. Eine Anzeige, ein Haftbefehl? Hilflos verweisen die Söhne auf eine sorgfältig in Plastik gewickelte Urkunde: Der Tod des „Caralampio Jimenez López“ wird darin bestätigt. Andere Papiere als den Totenschein besitzt die Familie nicht. Caralampio ist kein Einzelfall. Seine Name steht an neunter Stelle der Liste der indianischen Bauern, die in der Gegend allein im März umgebracht worden sind, die meisten von ihnen Mitglieder oder Führer von unabhängigen Bauernorganisationen.

Ganze sieben Hektar Maisfeld nennt die Familie ihr eigen, an die zwanzig Menschen müssen davon ernährt werden. Das reicht nicht, also arbeiten die Söhne auf den Feldern der „Reichen“ für acht Pesos am Tag, rund 4,50 Mark. Seit acht Jahren pachten sie außerdem ein Stück Land. Ein lohnendes Geschäft aber ist das gelbe Korn nun gerade nicht: Ein Hektar wirft im Schnitt gerade mal eine Tonne Mais ab. Der staatliche Lebensmittelvertrieb CONASUPO nimmt die Tonne für einen Festpreis von 625 Pesos ab. Aber allein die Pacht für einen Hektar beträgt 250 Pesos. „Manchmal springt was bei raus, manchmal nicht“, meinen die Söhne lakonisch. Einen Tag später steht in der Zeitung, daß ab Mai die Garantiepreise für Mais von 625 auf 540 Pesos gesenkt werden.

So haben sich zwei der drei Söhne des ermordeten Campesino den Landbesetzern angeschlossen. Anfang März nahmen 51 Familien aus der Umgebung die 700 Hektar großen Ranchos in Besitz, auf denen bislang lediglich Viehfutter angebaut wird. Die Versuche der Besitzer, die Bauern durch Abbrennen ihrer improvisierten Hütten zum Aufgeben zu zwingen, scheiterten. Zwei Wochen später besetzten 185 tzeltal-Indianer aus dem Hochland drei angrenzende Ranchos, insgesamt rund 1.000 Hektar. Mitten auf dem Feld haben die Männer ein notdürftiges Lager errichtet: ein paar strohgedeckte Unterstände, Plastikplanen und Kartons, all ihre Habe ist in Hunderten von Plastiktüten verstaut. „Compañeros“ aus den umliegenden Dorfgemeinschaften versorgen die Besetzer mit Essen. Auch hier zeigten sich die Besitzer von ihren neuen „Gästen“ anfänglich wenig begeistert. Schon Tage vor der eigentlichen Besetzung hatte man sie mit Gewehren verjagen wollen – vergeblich. Jetzt ist man in Verhandlungen mit der Regierung. Die Männer, größtenteils Mitglieder der Bauernorganisation Emiliano Zapata (OPEZ), sind voller Hoffnung, daß der Staat den Besitzern den Boden abkauft. Sie sind schließlich von weit hergekommen, aus einem Dorf inmitten der sogenannten Konfliktzone. Dort warten noch ihre Frauen, Kinder und die Alten auf Nachricht. Was man mit den Zapatisten in den Bergen zu tun habe? „Nichts“, beeilt sich der OPEZ- Sprecher Rosendo Gómez Juarez zu versichern. Man habe zwar die gleichen Forderungen, aber die OPEZ kämpfe politisch, ohne Gewalt. Allerdings: „Die EZLN hat uns eine Tür geöffnet.“ Denn jetzt zögen viele der erschrockenen Viehzüchter es vor, ihr Land loszuwerden, anstatt wie früher die Besetzer mit Waffengewalt zu vertreiben.

Ein neuer PKW und ein älterer Lieferwagen stehen vor dem Garagentor des Viehzüchters César Canzino Lara. Auf dem roten Samtsofa im Wohnzimmer erläutert er der Besucherin sein Dilemma: Ihr „bescheidenes Rancho“ von 104 Hektar können er und seine Frau seit dem 1. Januar nicht mehr betreten. All ihre Ersparnisse hatten sie seit 19 Jahren in das Stück Land gesteckt, auf dem sie ihren Lebensabend verbringen wollten. Doch leider liegt es mitten im Zapatistengebiet. Zwar hatte Subcomandante „Marcos“ versichert, daß die Zapatisten die Ländereien in ihrem Gebiet „nicht angerührt“ haben. Lara aber ist überzeugt, daß sein Rancho längst „zerstört und geplündert“ ist.

Früher habe man „in Harmonie und Frieden mit unseren Indios gelebt“, sagt Lara – sieben Familien arbeiten auf seinem Besitz – und Rassismus habe es „bei uns“ nie gegeben. Angefangen habe der Unfrieden dann mit Bischof Samuel Ruiz. Dieser habe den Haß gesät bei den Indios, „von Armen und Reichen gesprochen“ und so die Gemeinden nach und nach indoktriniert. Also muß der Bischof weg. Wie man das erreichen wolle? Lara lächelt listig. Friedlicher Widerstand, „so nach Gandhi-Art“, stellt er sich vor. Ein Kirchenboykott? Das Wort behagt ihm nicht. Man solle einfach Ruiz' Predigten ignorieren. Lara gilt als moderate Stimme aus dem Lager der Viehzüchter. Wie andere wehrt er sich dagegen, als Ausbeuter und Großgrundbesitzer dargestellt zu werden. Dummes Zeug sei auch das Gerede von den „Weißen Guardias“ und der Bewaffnung seiner Leute. Morde an Bauern? Lara macht eine wegwerfende Handbewegung: „Tote bei Streitereien zwischen Betrunkenen gibt es schließlich immer.“ Im übrigen aber ist César Canzino Lara ein realistischer Mann. „Wir müssen uns halt dran gewöhnen“, meint er etwas resigniert, „es wird wohl nicht mehr so werden wie früher.“

Der artesania-Markt vor den Stufen der prunkvoll vergammelten Kolonialkirche von Santo Domingo: Über die warmen Steine sind Berge von bunten Stoffen gebreitet, Westen, Taschen, hier und da eine Machete, allerlei Schnickschnack. Seit ein paar Wochen gibt es einen neuen Verkaufsschlager: maskierte Stoffpüppchen mit Wollgewehr und Patronengürtel aus Stroh. „Verkauft sich gut“, sagen die Verkäuferinnen und grinsen. Die anderen Puppen dagegen wolle im Moment keiner haben. Vielleicht ist es Einbildung. Das Lachen der Frauen in ihren leuchtenden Tüchern klingt anders als sonst. Hintergründiger, verschmitzter, weniger unterwürfig.

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