"Gerade jetzt ist ein Mahnmal nötiger denn je"

■ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Jerzy Kanal, zum Streit um die Spiegelwand und die Absage der Hitler-Ausstellung

taz: Ende letzter Woche hat Bausenator Nagel ein überfälliges Machtwort gesprochen und die Bezirksverordneten von Steglitz aufgefordert, bis zum 2. Mai dem umstrittenen Denkmal-Entwurf für die aus Steglitz deportierten und ermordeten Juden zuzustimmen. Sonst werde er, Nagel, das Verfahren an sich ziehen. Hat das peinliche Hickhack um die Spiegelwand nun ein Ende?

Jerzy Kanal: Es gibt immer Kontroversen zwischen Senat und Bezirken; um Busspuren oder um Straßennamen etwa. Es ist nicht neu, wenn einem Senator mal der Kragen platzt.

In Steglitz geht es nicht um Busspuren, sondern um die Errichtung eines Denkmals für getötete Juden.

Ja, natürlich. Aber es ist mir egal, ob nun der Senator oder die Bezirksverordneten ein Mahnmal errichten lassen. Die Bezirksverordneten hatten sich für ein Mahnmal entschieden, was richtig ist. Daß nun das Mahnmal wegen eines Streits um dessen Länge nicht realisiert werden soll, ist erstens ein Vorwand und zweitens nicht richtig. Außerdem ist das Argument, der elf Meter lange Entwurf der Künstler Wolfgang Göschel und Joachim von Rosenberg provoziere Schmierereien, gar keines. Denn eine sieben Meter lange Spiegelwand läßt sich genausogut beschmieren.

Aus dem Streit um die Spiegelwand haben Sie sich bislang herausgehalten. Warum?

Wenn jetzt einige versuchen – zum Teil sogar mit Hilfe der Republikaner –, Mehrheiten gegen das Mahnmal zu finden, halte ich das für falsch. Und ich habe schon mal gesagt: Die sollen sich zusammenreißen! Schließlich dürfte auch den Abgeordneten bekannt sein: Wer die Vergangenheit vergißt, verdrängt oder leugnet, hat keine gute Zukunft. Man kann in der Gegenwart nur bestehen, wenn man die Vergangenheit kennt und weiß, daß das nie wieder passieren darf.

Welche Qualitäten muß ein Denkmal für die ermordeten Juden erfüllen?

Es gibt keine perfekten Denkmäler, wie es auch keine perfekten Menschen gibt. Eines dürfen Sie nicht vergessen: Es sind nicht wir Juden, die die Denkmäler brauchen.

Was verbirgt sich hinter diesem Steglitzer Streit?

Daß die Bezirksverordneten beschlossen haben, ein Mahnmal zu errichten, hat ja ihren guten Willen dokumentiert. Nur ist man jetzt irgendwie – ich weiß nicht, ob es ein Trend der Zeit ist – aus vordergründigen Motiven heraus auf die Idee gekommen, das Projekt ersatzlos zu streichen. Das ist bedauerlich. Die Situation hat sich ja außerdem zum Schlechten verändert: Es kommen immer mehr Stimmen, die die Vergangenheit verdrängen. Und neuerdings darf man sogar straflos die Vergangenheit leugnen. Gerade jetzt ist ein Mahnmal nötiger denn je.

Kommen Freunde und Bekannte auf Sie zu und wollen wissen, um was in Berlin-Steglitz eigentlich gestritten wird?

Selbstverständlich. Dauernd kriege ich Anrufe aus dem In- und Ausland, von anderen jüdischen Organisationen oder ausländischen Journalisten.

Hat ein Steglitzer Bezirksparlamentarier Sie mal konsultiert?

Ich mag nicht tratschen.

Ein anderes Thema, das in Berlin diskutiert wird: die abgesagte Ausstellung von Bildern des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann. (Inzwischen hat auch das Historische Museum Saar in Saarbrücken die für August geplante Ausstellung „Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führermythos“ abgesagt; d. Red.) Sie hatten Christoph Stölzl, Direktor des Deutschen Historischen Museum, gebeten, auf diese Ausstellung zu verzichten. Kannten Sie die die Bilder zu diesem Zeitpunkt?

Nein, die habe ich nicht gesehen. Aber ich habe den Katalog gelesen. Ich habe von der Münchner Ausstellung gehört, und die ist nicht mit der in Berlin geplanten zu vergleichen, weil es sich in München um eine Dreier-Ausstellung handelte: „Bau in der Nazizeit“, dann Hoffmanns Hitler-Fotos, aber kleiner, als es für hier geplant war, und schließlich „München. Hauptstadt der Bewegung“.

Was mich und die Jüdische Gemeinde angeht – denn für diese habe ich um eine Ausstellungsabsage gebeten, und nicht, wie es falsch dargestellt wurde, als Privatmann –, was mich also angeht, habe ich mir gedacht, ich kenne Herrn Stölzl, also rufe ich ihn an. Das habe ich auch getan, wir sprachen mindestens eine halbe Stunde miteinander. Ich habe Herrn Stölzl gesagt, es geht mir nicht darum, Geschichte nicht zu zeigen oder den Katalog zu verhindern. Aber wenn man eine geballte Ausstellung mit mehreren hundert Hitler- Fotos im Herzen Berlins zeigt, kommen auch Menschen, die nicht so in die Einzelheiten eingeweiht sind, die propagandistische Fotos nicht so dechiffrieren können.

Was uns ganz besonders gestört hat: In so einer Ausstellung werden gigantische Aufmärsche und Huldigungen gezeigt. Und man kann doch nicht jetzt, auf einmal, behaupten, man entlarvt Hitler. Es ist billig zu sagen, aus einem Nichts hat man einen Popanz gemacht.

Hoffmanns Fotografien haben das Bild Hitlers geschaffen: Sie waren bis '45 allgegenwärtig und wirken bis heute nach. Denn wo immer Darstellungen des Nationalsozialismus illustriert werden, in Schulbüchern etwa oder in wissenschaftlichen Studien, greift man auf Hoffmanns Fotos zurück. Nun hätte man die Möglichkeit gehabt, dieses Propagandamaterial als das zu begreifen, was es ist: der Versuch, eine erbärmliche Gestalt ins rechte Licht zu rücken.

Hitler war keine erbärmliche Figur. Und nicht Hoffmann hat mit seinen Bildern den Mythos Hitler geschaffen. Ich sehe auch keine Entlarvung darin, inszenierte Hitler-Fotos zu sehen, wo wir doch heute wissen, daß jedes Toilettenpapier 20mal in immer anderem Licht und Blickwinkel fotografiert wird, um es bestmöglich zu verkaufen.

Aber wer vor Verführung warnen will, muß sie auch zeigen.

Einverstanden. Aber die meisten Hitler-Bilder sind bekannt. Diese Bilder, die die meisten Deutschen kennen, können in Dokumentarfilmen gezeigt werden, die nicht nur über Aufmärsche berichten, sondern auch darüber, daß der Krieg nicht aufgehört hat mit diesen Aufmärschen. Zeigt man nur Fotos, nimmt man ein Segment heraus, das nicht die geschichtliche Wahrheit dokumentiert, denn die langen Kolonnen deutscher Kriegsgefangener werden nicht gezeigt. Und das ist nicht gut für Deutschland.

Als Herr Stölzl die Ausstellungsabsage bekanntgab, formulierte er in einer zweieinhalbseitigen Presseerklärung, warum er die Ausstellung für wichtig halte. Nur fünf Zeilen dagegen ließ er Ihnen, um Ihre Abneigung zu begründen. Seltsam, oder?

Selbstverständlich. Ich habe Herrn Stölzl auch gesagt, jetzt haben Sie mir den Schwarzen Peter zugespielt, den Schuldigen gefunden. Denn nun sieht es so aus, als ob ich die Ausstellung abgesagt hätte. Aber das ist für die Juden nicht neu, daß sie überhaupt an allem schuld sind.

Hätten Sie das Fußball-Länderspiel Deutschland – England abgesagt?

Ich hätte es in Hamburg nicht abgesagt. Denn der 20. April ist ein ganz normaler Tag. Millionen von Menschen wußten bis dato gar nicht, daß an diesem Tag Hitlers Geburtstag ist. Ich halte es auch für blöd, daß in Berlin ausgerechnet am 20. April eine Demonstration stattfand (gegen Rassismus, d. Red.). Warum nicht am 22. oder am 19. April? Die Demonstranten hätten am 19. April vor unsere Gemeinde kommen sollen, zum „Gedenktag Warschauer Ghetto“.

Haben Sie in jüngster Zeit eine Zunahme an Antisemitismus registriert?

Ich weiß nicht, ob Antisemitismus zugenommen hat. Er ist nur offener geworden. Früher hätten sich die Menschen vielleicht eher zurückgehalten, heute sprechen sie ihre antisemitischen Vorurteile offen aus. Interview: Thorsten Schmitz