: Samenfäden im neuen Gen-Design
■ Verfahren zur umstrittenen Keimbahn-Therapie zum Patent angemeldet
Das Bild ist bekannt: In eine Eizelle dringt eine hauchdünne Glaskapillare ein. Durch die feine Röhre hindurch wird Erbmaterial in die Zelle geschleust. Ralph Brinster und Jim Zimmermann haben an der University of Pennsylvania in Philadelphia eine Technik entwickelt, mit deren Hilfe die Genforscher nun auch Spermienzellen manipulieren können. Die Samenfäden waren bisher gentechnischen Methoden kaum zugänglich. Im Gegensatz zu den relativ großen Eizellen ist bei den Winzlingen eine direkte Injektion des Erbmaterials nicht möglich. Versuche, die Spermienzellen mit sogenannten Liposomen – membramumhüllten Bläschen – verschmelzen zu lassen, lieferten bislang eher enttäuschende Ergebnisse.
Wie Christian Gugerell, Präsident des Europäischen Patentamtes in München mitteilte, haben die Amerikaner ihr Verfahren zur Patentierung angemeldet. „Das ist meines Wissens der erste Patentantrag in Europa für eine Methode zur Keimbahn-Gentherapie.“ Gugerell hält eine schnelle Entscheidung jedoch für unwahrscheinlich. „Wir werden entscheiden müssen, ob es ethisch vertretbar ist, dieses Patent anzuerkennen.“ In einer ersten Reaktion beuteilte Gugerell die Patentierungschancen als „höchst zweifelhaft“.
Die Methode ist denkbar einfach. Den Hoden werden nicht die Spermien, sondern ihre Bildungszellen, die sogenannten Spermatogonien entnommen. Alle verbleibenden Spermienstammzellen und die bereits gereiften Samenfäden werden anschließend durch Bestrahlung oder den Einsatz von Chemikalien vernichtet. Die entnommenen Stammzellen können gentechnisch verändert werden und werden anschließend in die „leeren“ Hoden zurücktransferiert. Die veränderten Zellen reifen heran und produzieren nun „gesunde“ oder gar gentechnisch optimierte Spermien.
Die Methode wurde ursprünglich als neues Verfahren zur Tierzucht entwickelt. Eigenschaften wie eine definierte Fleischqualität oder eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten sind die erklärten Ziele der Forscher. Die Hoden „minderwertiger“ Tiere können entleert und mit den Spermatogonien wertvoller Zuchttiere gefüllt werden. Die Tiere produzieren dann den wertvollen Samen ihrer Nebenbuhler.
Brinster und Zimmermann haben die technischen Möglichkeiten der Methode an Mäusen demonstriert. Den veränderten Zellen hatten sie dazu ein Markergen eingesetzt, dessen weiteres Schicksal sie in den Spermien verfolgen konnten. Anstelle der Zellen aus den Hoden können auch Stammzellen des Knochenmarks verwendet werden. Die Knochenmarkzellen sind noch undifferenziert, sie entwickeln sich in Abhängigkeit von ihrer Umgebung. Im Hodengewebe reifen die Knochenmarkzellen dann zu Spermatogonien heran.
In der Patentanmeldung werden auch Einsatzmöglichkeiten für die Therapie am Menschen nicht ausgeschlossen. Doris Zallen vom Recombinant-DNA Advisory Committee, dem amerikanischen Gentechnik-Beratergremium, äußerte sich gegenüber dem britischen Wissenschaftsmagazin New Scientist: „Ich bin schockiert über die Bereitschaft des Instituts, eine Anwendungsmöglichkeit dieser Technik am Menschen zu sehen.“ Nelson Wivel, bei der amerikanischen Gesundheitsbehörde National Institute of Health (NIH) zuständig für Gentechnik, hält entsprechende Überlegungen für verfrüht: „Bis wir Gene an exakt den richtigen Ort übertragen können, ohne benachbarte Gene zu beeinflussen, sollten wir die Keimbahntherapie vergessen.“ Die Spermatogonien stellen für die Gentherapeuten ein besonderes Problem dar. Sie sind diploid, enthalten also gleich zwei vollständige Kopien des Erbguts. Damit ausschließlich die gewünschten Spermien produziert werden, müßten die Wissenschaftler ihre Gene nicht nur an der richtigen Stelle einfügen, sondern dieses Kunststück gleich zweimal vollbringen. Auf dem momentanen Stand der Technik sind so präzise Genoperationen noch nicht möglich.
Auch Ralph Brinster sieht die Zeit für einen gentechnischen Eingriff noch nicht gekommen. „Aber etwas zu patentieren heißt ja noch lange nicht, daß irgend jemand es auch tun wird.“ Viele Wissenschaftler lehnen eine Keimbahntherapie jedoch grundsätzlich ab, das Risiko sei einfach zu groß.
So hat auch Christian Gugerell Bedenken, daß die Patentanmeldung den Ethikrichtlinien seiner Behörde entspricht. „Das ist ein schwieriges Problem, das wir noch lange nicht zu Ende gedacht haben.“ Doch selbst wenn die Patentwächter zu dem Schluß kämen, das Verfahren sei ethisch vertretbar, bleibt immer noch eine entscheidende Hürde: therapeutische Konzepte zur Behandlung von Tieren und Menschen sind prinzipiell von der Patentierung ausgeschlossen. Andreas Sentker
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