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Kritik der reinen Kriminalität Von Mathias Bröckers

Freiheit für Dagobert! Natürlich kann man Erpresser nicht einfach frei rumlaufen lassen, aber im Fall Dagobert sieht es anders aus. Der Mann hat Stil. Bei seinen Aktionen wurde nie jemand verletzt, seine Tricks und technischen Kniffe, mit denen er die Polizei immer wieder reinlegte, zeugten nicht nur von Intelligenz, sondern auch von Witz, und bei seiner Festnahme erwies er sich als guter Verlierer – alles Eigenschaften, die im heutigen Kriminalitätswesen auf den Hund gekommen sind. Gangster mit Stil, Kriminelle mit Charakter und Ganoven mit Herz gehören zu den aussterbenden Arten – Gesetze der Unterwelt, eine Ethik der Kriminalität, wie sie zum Beispiel die Berliner Ringervereine in den zwanziger Jahren noch aufrechterhielten, scheinen immer weniger zu existieren. Es geht drunter und drüber in der Unterwelt – Vorzeige-Verbrecher wie Dagobert haben Seltenheitswert. Und deshalb ist es nicht nur einfach bedauerlich, daß er gefangen wurde – der Schuß könnte sogar nach hinten losgehen. Denn was bedeutet es, wenn ein vorbildlicher krimineller Charakter wie dieser sanfte Erpresser jetzt im Gefängnis landet? Wird es den Kriminellen landauf landab zu denken geben und sie dazu bringen, zum ehrlichen Broterwerb zurückzukehren? Eher dürfte das Gegenteil der Fall sein: Wenn selbst intelligente Planung und Gewalt gegen Sachen nicht zum Erfolg führen, dann doch besser gleich feste druff... der Oma übern Schädel und wild in der Gegend rumballern.

Insofern ist die Parole „Freiheit für Dagobert!“ auch mehr als nur die Trotzreaktion enttäuschter Anarchisten – im Sinne einer Hebung des brutal gesunkenen Kriminalitätsniveaus würde eine Bewährungsstrafe in diesem Fall durchaus Sinn machen.

Eine kriminalitätsfreie Gesellschaft (und dieser Utopie dient ja das ganze Gendarmenspiel) kann es nur geben, wenn Verbrechen in homöopathischer Dosierung geduldet werden. Bei einer solchen homöopathischen Verbrechensbekämpfung käme Spitzenganoven wie Dagobert die Rolle zu, den allgemein menschlichen Hang zur Niedertracht aufzuheben, indem er sie vorbildlich und auf höchstem Niveau vorexerziert. So paradox es klingt: wir brauchen, zwecks Kriminalitätsbekämpfung, mehr und nicht weniger Kriminelle vom Kaliber Dagobert. Wie sonst als durch sanfte und erfolgreiche Ganoven soll die grauenhafte Brutalität im kriminellen Gewerbe eingedämmt werden? Mit einem Dagobert im Knast ist niemandem geholfen (wie ja überhaupt in Frage steht, ob Gefängnisse irgend etwas helfen). Aus verbrechenspädagogischen Gründen wäre es deshalb wahrscheinlich das beste, wenn es ihm mit irgendeinem dagobertmäßigen Trick gelänge, wieder auszubrechen.

Der Mann war gar nicht so intelligent, es ging ihm nur ums Geld – mit Einschätzungen wie diesen versucht die Polizei jetzt die Pleiten in der Fahndung herunterzuspielen und den Täter auf Normalmaß zurechtzurücken – die Fahndungspannen seien bewußt inszeniert gewesen, um Dagobert vom Bombenlegen abzuhalten und ihn über immer raffiniertere Pläne bei der Geldübergabe nachdenken zu lassen. Und doch waren zeitweise über 200 Mann im Einsatz – ein bißchen viel für einen x-beliebigen Kriminellen. Daß er jetzt sitzt, ändert nichts an der Tatsache: Dagobert hat sich um das deutsche Kriminalitätswesen verdient gemacht.

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