Standbild
: Nicht Fisch, nicht Fleisch

■ "Die Nacht kurz vor den Wäldern"

„Die Nacht kurz vor den Wäldern“, Montag, 0.15 Uhr, ZDF

Die Kamera ruht lange auf einem diffusen Blau, einer Art Eismeernebel wie bei Caspar David Friedrich. Langsam löst sie sich, fährt zurück und gibt den Blick frei auf – tatsächlich – ein Bild. „Die Nacht kurz vor den Wäldern“, das meint wohl auch jene blaue Stunde zwischen Nacht und Morgen, weshalb man sich beim ZDF gleich veranlaßt sah, das jüngste Opus aus der Reihe „Kleines Fernsehspiel“ nicht vor, sondern kurz nach Mitternacht ins Programm zu nehmen.

1976 wurde das dritte Stück des 1989 an Aids gestorbenen Dramatikers Bernard Marie Koltès in Paris uraufgeführt. Ein Monolog, den in der deutschen Fernsehfassung der hervorragende Münchner Schauspieler Wolfgang Maria Bauer spricht. Das ZDF beschritt ungewohnte Wege und hat die bislang Theaterregie führende Sigrid Herzog mit der Verfilmung des heftigen Wortausbruchs eines gestrandeten jungen Mannes betraut. Heraus kam ein Zwitter: halb Theater, halb Film. Die Kamera heftet sich an den Schauspieler, richtet sich auf seinen Mund, fährt heran und zurück oder schaut von oben auf ihn herunter.

Leicht verfremdetes, etwas maniriertes Sprechtheater. Der sonst mit Leander Haußmann arbeitende Bühnenbildner Bernhard Kleber hat die Gestaltung des Innenraums übernommen: ein schäbiger Hotelflur, dessen triste Farben in Wirklichkeit nie so matt schillern würden, ein wenig zu malerisch. Die Adressaten des Monologs bleiben nicht imaginär, sondern nehmen (mit einer Ausnahme), stumm bleibend, Gestalt an.

Koltès Sprache ist schnell, heftig, klar. Sie diktiert den atemlosen Bericht eines Herumtreibers, der – typisch für Koltès – namenlos bleibt, den Außenseiter par excellence abgibt und doch konkret und stellvertretend für sein soziales Milieu spricht – für die Aus- und Rumgestoßenen, die in den Arsch Getretenen und Gekniffenen.

Doch von einem filmischen Spaziergang am Koltèsschen Gedankenfluß entlang kann leider nicht so recht die Rede sein. Statt dessen Bilder, die bereits vorhandene doppeln, Spiegelbilder der Seele: leere Straßen, Dunkelheit, Regen.

Vielleicht wäre es besser gewesen, es bei dem imaginären Raum zu belassen, den das Theater kreiert – oder ihn tatsächlich in einem surrealen Traumspiel zu etwas ganz anderem zu verdichten: dem kleinen Fernsehspiel. Sabine Seifert