: Unterm Strich
Es gibt so Tage. Da geht man morgens in den Tickerraum, und dort springt es einen an, versucht sich aufzudrängen als Thema des Tages. Bei näherem Hinsehen entpuppt es sich dann meistens als doch nicht so tragfähig. Heute früh war's das Kirchenwesen im allgemeinen und die sächsische Kirche im besonderen. Zunächst stießen wir auf die Geschichte einer doch überraschenden Konversion. Kein Geringerer als der ehemalige anglikanische Bischof von London, Graham Leonard, ist zum katholischen Glauben übergetreten. Und warum hat er das gemacht? Gar nicht mal wegen des viel schöneren Brimboriums mit Weihrauch, Kerzen und Spitzenhemdchen. Auch nicht weil er sich schon immer mal aus dem sicheren Inneren eines Beichtstuhls heraus all die Ekligkeiten dieser Welt aus erster Sünderhand berichten lassen wollte. Nein, aus Protest hat er das gemacht. Weil die anglikanische Kirche Frauen zum Priesteramt zuläßt. Er ist nun einer der wenigen verheirateten Priester der katholischen Kirche. Eine eigene Gemeinde kriegt der 72jährige aber nicht mehr, er darf nur noch aushelfen. Beim Bimmeln. Geschieht ihm ganz recht.
Gewaltige Umwälzungen stehen den sächsischen Kirchenbesuchern evangelischen Glaubens bevor: Am 1. Mai wird dort ein neues evangelisches Gesangbuch eingeführt. Das 1.360 Seiten starke Werk beinhaltet sage und schreibe 535 geistliche Gesänge, darunter 23 fremdsprachige. Aus dem bisher gültigen Kirchengesangbuch von 1953 darf aber bis Ende 1995 noch parallel weitergesungen werden. Das nennen wir behutsame Gesangbucherneuerung.
Größere Probleme dürften die Sachsen mit der Kostenexplosion beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche haben. Wie gestern kurz gemeldet, soll dieser in der Zwischenzeit 450 Millionen kosten. Dabei ist das Projekt durchaus umstritten. Viele Dresdner meinten, man solle mit dem Geld lieber Wohnungen bauen. Die offizielle Sprachregelung aus der Staatskanzlei lautet allerdings, sie stünden „mehrheitlich hinter dem archäologischen Wiederaufbau“ – klingt ja irgendwie nach einem Widerspruch in sich. Ende Mai soll jetzt kurzerhand eine neue Stiftung gegründet werden, die von Kirche, Land und Stadt gemeinsam getragen wird und ihnen Mitspracherecht an Sparlösungen, zum Beispiel der Verwendung preiswerteren Materials im Keller, einräumt.
Evangelisch und Katholisch kennen wir, aber bei den freikirchlichen und allgemein humanistischen Organisationen hapert's offensichtlich. Am Samstag haben wir an dieser Stelle behauptet, die Humanistische Union, die für einen „Lebenskundeunterricht“ als Ersatz für Religionsunterricht eintritt, sei ehemals der „Freidenkerverband“ gewesen. Das stimmt überhaupt nicht. Dessen Nachfolger heißt in Wirklichkeit „Humanistischer Verband Deutschlands“.
Mit den Folgen der Bonner Sparpolitik wird sich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung bei ihrer Frühjahrstagung am Donnerstag in Leipzig beschäftigen. Unter dem Motto „Staat gegen Kultur“ sprechen auf drei öffentlichen Sitzungen unter anderem der diesjährige Büchner-Preisträger Adolf Muschg, der ungarische Romancier György Konrad und der FAZ-Herausgeber Joachim Fest. Akademiepräsident Herbert Heckmann hat vorsorglich auf die Bedeutung der öffentlichen Förderung für die Entwicklung des Geisteslebens hingewiesen. Zahlreiche Autoren seien auf Aufträge von Rundfunkanstalten und Bühnen angewiesen, die aber immer häufiger ausblieben. Heckmann forderte eine „gerechte“ Sparpolitik, die knappen Mittel dürften nicht allein der „Repräsentativkultur“ vorbehalten werden.
Auf diesem Standpunkt steht auch der Berliner Sängerbund, der uns allerdings leicht übers Ziel hinauszuschießen scheint. Er kritisierte die ungleiche Geldverteilung: der Berliner Konzertchor, die Singakademie und der Philharmonische Chor erhielten allein über die Hälfte der Zuwendungen. Dem Sängerbund und seiner ständig steigenden Zahl von Chören (zur Zeit: 193) bleibt ein Rest von 550.000 Mark. Geld fehlt beispielsweise für Ausfallbürgschaften, Konzertreisen, Noten, Probenräume und die Nachwuchsarbeit. Hm. Muß das, nun ja, das eben, wirklich aus Kulturtöpfen bezahlt werden?
Wirklich billiger werden in diesen harten Zeiten eigentlich nur die Kaffeefahrten. Ein einschlägiges Berliner Unternehmen lockt derzeit mit einer „Frühlingsverkaufsfahrt zum großen Polenmarkt“, wie sie seit einiger Zeit in grenznahen polnischen Städten entstanden sind. In der Frühe rollt man unter dem Motto: „Mit Ihrer D-Mark einkaufen wie ein König“ Richtung Oder. Fürs königliche Berliner Gemüt der Renner. Und nur ein Katzensprung. Im Gesamtpreis von 19.90 sind außer der Fahrt, „1em feinen Mittagsmenü“, „12 Backrezeptkarten“ und dem obligatorischen 12-teiligen Kaffeebesteck weiterhin enthalten: „1 gute Leberwurst, 1 gute Schinkenwurst, 1 gute Jagdwurst und 1 gute Sülzwurst“. 1 Underberg her!
Nicht weiter eingehen werden wir heute auf ein Feature unseres dpa-Lieblingskorrespondenten Wilfried Mommert mit dem Titel „Die Drohungen und Lockungen der Stasi am Beispiel des Lutz Rathenow“. Wegen des „des“.
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