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Symbol für Irland

■ Filmisches Psychogramm: „High Boot Benny“ von Joe Comerford

Wegen seiner schweren, mit silbernen Manschetten versehenen Stiefel wird er High Boot Benny genannt. Kaum zehn Sätze spricht der verstörte 17jährige, am Ende ist einem der Kerl seltsam vertraut. Ohne dem Jungen auf die Pelle zu rücken, begleitet ihn die Kamera auf seinen rastlosen Wegen durch karge Landschaften. Ständig ist Benny beschäftigt, die Bedeutung seiner Handlungen aber bleibt undurchsichtig. Unmittelbar wird man in die Ereignisse katapultiert. Nur der Schauplatz ist klar, ein blutverschmiertes Amtsschild vermeldet freundlich: „Wir freuen uns auf Ihren nächsten Besuch in Nordirland.“

In einem Schuppen nahe der inneririschen Grenze findet Benny die Leiche eines Ermordeten, er übergibt sich und wird von bewaffneten Männern in Trainingsanzügen überwältigt. Wenig später überfällt Benny zwei Mädchen, die Blutkonserven für verletzte IRA- Kämpfer transportieren, und zertrampelt die Beutel. Es kommt zu weiteren Zwischenfällen. Militär, paramilitärische Gruppen und bewaffnete Zivilisten prallen aufeinander. Orientierungslos wie im Sumpf watet man durchs Geschehen, die Fronten werden nie eindeutig geklärt. In klaren Bildern voll spröder Schönheit spulen sich die Ereignisse mechanisch ab.

Regisseur Joe Comerford liefert keine politischen Hintergründe, statt dessen gelangt er über eine Stimmungsbeschreibung zum Psychogramm der irischen Gesellschaft: „Die kleine Gemeinde in meinem Film steht symbolisch für ganz Irland, denn sie weist alle Aspekte unserer Gesellschaft auf. In Irland leidet man an Realitätsverlust. Je größer die Realitätsleugnung, desto größer die Selbsttäuschung, desto gefährlicher und explosiver das Ausmaß der Gewalt.“ Für seinen Film „High Boot Benny“ fand der Regisseur in Irland keine finanzielle Unterstützung, da er nicht eindeutig für eine der Konfliktparteien Stellung beziehen wollte. „Jeder will wissen, wer ist mein Freund, und wo sind meine Feinde, um sich selbst zu erkennen.“

Auch Benny steht zwischen den Fronten. In einer kleinen Privatschule, die nach freiheitlichen Methoden unterrichtet, findet der Junge Zuflucht und ein wenig Frieden. Doch die Schule mit religions- unabhängigem Unterricht ist in dieser Ecke des Landes nicht gern gesehen. Man wartet nur auf einen günstigen Moment, die Leiterin und den einzigen Lehrer hochgehen zu lassen. Zu spät werden Benny und seine Beschützer sich dieser Gefahr bewußt. In einem gespenstischen Szenario finden sie noch mal zusammen, träumen von einer schöneren Zukunft, es kommt zu einer überraschenden Liebesnacht. Das private Paradies findet ein jähes Ende. Benny wird sich für eine Seite entscheiden müssen, denn alles ist weniger tödlich als allein sein. Anke Leweke

„High Boot Benny“ von Joe Comerford (1993), ab heute, täglich 20 Uhr, fsk-Kino, Wiener Straße 20, Kreuzberg.

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