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HIV-infizierter Knacki verklagt Land Berlin

■ Ein HIV-infizierter Häftling der JVA Tegel fordert vom Land Berlin Schmerzensgeld / Bundesweit erster Fall

Schmerzensgeld und Schadenersatz fordert ein Häftling der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vom Land Berlin, da er sich während seiner Haftzeit mit dem Aids- Virus infiziert hat. Dies ist bundesweit das erste Mal, daß eine solche Forderung gestellt wird, denn bisher war der Nachweis einer Ansteckung im Gefängnis aufgrund der langen Inkubationszeit nicht möglich.

Sein Mandant, so Rechtsanwalt Rolf-Reiner Stanke, habe sich in der JVA Tegel regelmäßig Aids- Tests unterzogen. Noch im Oktober 1992 und im März 1993 seien sie negativ verlaufen, während ein Test vom September 1993 erstmals positiv war. Dies bestätigte ein weiterer Test im Dezember 1993. Es sei sicher, „daß sich der Mann in der ersten Jahreshälfte 1993 in der Haftanstalt infiziert haben muß“. Der Mann, der wegen eines Drogendelikts im Gefängnis sitzt, habe sich angesteckt, weil er auf gebrauchte Spritzen von Mitgefangenen angewiesen gewesen sei. Die JVA Tegel habe die Vergabe von unbenutzten Einwegspritzen verweigert, denn Strafgefangene dürfen offiziell kein Spritzbesteck besitzen.

Das Land Berlin sei damit „seiner Schutzpflicht für Leben und Gesundheit des Mandanten“ nicht nachgekommen und deswegen haftbar, so Stanke. Mandant und Anwalt sind entschlossen, durch alle Instanzen zu gehen. Von der Senatsverwaltung für Justiz war gestern dazu keine Stellungnahme zu bekommen, da man den Fall noch nicht kenne.

Signalwirkung erhofft sich Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen, von diesem Präzendenzfall. Sollte dem Häftling in einer Instanz recht gegeben werden, wäre das eine Sensation. Michael Gähner von der deutschen Aidshilfe schätzt, daß von den rund 4.000 Häftlingen in Berlin zehn bis 15 Prozent HIV-positiv sind. Etwa die Hälfte aller Gefangenen konsumiere Drogen. „Wenn sich die alle nur mit der sogenannten ,Stationspumpe‘ spritzen, kann man sich ausrechnen, wie die Infektionsraten ansteigen.“ Doch die Senatsverwaltung für Justiz bleibt stur. Genaue Zahlen über Drogenabhängige und HIV-Infektionen in Gefängnissen gebe es nicht. Hauptargument der Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit gegen eine Vergabe von Einwegspritzen in den Vollzugsanstalten, so Sprecherin Uta Fölster gestern gegenüber der taz: „Die Spritze könnte als Waffe eingesetzt werden.“ Würde die Industrie ein ungefährliches Instrument entwickeln, könne man mit ihr darüber reden. Es müsse nur ein vernünftiges Rückgabesystem eingerichtet werden, widerspricht Bernd Köppl. Abgesehen davon sei kein einziger Fall bekannt, in dem ein Gefangener mit der Nadel auf einen Aufseher losgegangen sei. Daß in Gefängnissen noch immer keine Spritzbestecke und Desinfektionsmittel verteilt würden, sei „aus medizinischen und ethischen Gründen nicht hinnehmbar“. Dies zeige auch der Fall des Häftlings, der nun gegen das Land Berlin klage. Judith Gampl

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