: Gähnen am Rothenbaum
■ Steffi Grafs Dominanz überschattet das Hamburger Turnier
Hamburg (taz) – „Was soll ich denn machen?“ Stefanie Maria Graf aus Brühl scheint ratlos. Zu eindeutig deklassiert die Tennis- Weltranglistenerste derzeit ihre Gegnerinnen. 6:0, 6:0 schlug sie in nur 38 Minuten in der ersten Runde des Hamburger Frauenturniers Silke Frankl, für die Italienerin Linda Ferrando in der zweiten Runde benötigte sie immerhin schon 57 Minuten und räumte hernach ein, daß sie sich anfangs nicht so recht zu konzentrieren vermochte. Für die Weltranglistenerste ist keine Konkurrenz in Sicht. Schlimmer noch: Es gibt nicht einmal begnadete Spielerinnen, die an guten Tagen in der Lage sind, Steffi Graf eventuell einmal einen Satz abzunehmen oder die über ein erträgliches Maß von Show-Qualitäten verfügen, sieht man einmal von so fiaskösen Werbekampagnen wie der Huberschen Milchschnittenreklame ab.
Einzig Vorjahressiegerin Arantxa Sanchez-Vicario werden gewisse Chancen gegen Graf eingeräumt. Doch die smarte Katalanin eignet sich so wenig, einen medial wirksamen Konterpart zur Steffi zu spielen, wie der am Rothenbaum verweilende Schlagerstar und Billigserienschauspieler Howard Carpendale für die Rolle des Mephisto. Zu nett wirkt sie, zu brav und zu umgänglich, um ihr die mediale Grandezza einer Gabriela Sabatini zu besseren Zeiten oder einer Monica Seles bis zu ihrem unfreiwilligen Rückzug vom Tenniszirkus zu verpassen. Zumal sich Sanchez-Vicario derzeit mit einer Knieverletzung plagt.
Vielleicht könnte Jana Novotna Frau Graf noch Paroli bieten. Doch die Tschechin gilt als Serve- and-Volley-Spezialistin und hat somit auf dem sehr langsamen Hamburger Sandplatz gegen das Grafsche Vorhandgekloppe nicht den Hauch einer Chance. Eine dominierende Protagonistin ohne adäquate Antagonistin produziert eine Dramaturgie, die auch die Sponsoren verschreckt. Etwa den durch Scheibletten bekannten Nahrungsmittelkonzern, unter dessem Label in den Vorjahren die gesamte Tour veranstaltet wurde und der sich zur Zeit von der Frauenversion des ehedem höfischen Rückschlagspiels zurückzieht.
Und Hamburg als Ort des vorjährigen Seles-Attentats? Das wäre doch ein Reiz, der das Turnier ausmachen könnte? Aber die Sicherheitsmaßnamen wurden so verstärkt, das niemand die Chance hat, sich den Topspielerinnen zu nähern. Und auch die Spielerinnen flüchten sich in ihre Lieblingsfloskel: „Darüber mache ich mir keine Gedanken.“ (Sabine Hack)
Vielleicht wird ja schon in ein paar Jahren das Frauenturnier zeitgleich mit den German Open der Männer am Rothenbaum gespielt. Sicher ist auf jeden Fall, daß der am Tresen der JournalistInnentränke des Rothenbaums von einem Fernsehredakteur ausgesprochene Vorschlag nicht angenommen wird: Steffi Graf gleich zur Siegerin zu erklären und die ganze Sache abzublasen. Dann nämlich würde das zentral gelegene Tennisstadion nur noch eine Woche im Jahr genutzt werden. Kai Rehländer
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