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„Außergewöhnliches Milan“

Nach dem 3:0 des AC Mailand über AS Monaco im Champions-League-Halbfinale stellt sich die Frage, wie perfekter Fußball aussieht  ■ Aus Mailand Peter Unfried

Heißa, war das wieder eine italienische Nacht. Wieder ein neuer rot-schwarzer Einnahmerekord in San Siro (3.875.6843.000 Lire, die allerdings 60:40 mit Verlierer AS Monaco geteilt werden müssen), fast Journalistenweltrekord, noch größere Begeisterung als neulich beim Erringen des dritten „Scudetto“ in Folge, und selbst Trainer Fabio Capello hat für seine Verhältnisse gestrahlt wie ein Maikäfer, als er sagte: „Meine Mannschaft hat außerordentlich gut gespielt.“ Recht gesprochen, Fabio: Kein Tor gekriegt, dafür drei geschossen, eine für den AC Mailand derzeit geradezu astronomische Zahl, somit zum zweiten Mal in Folge das Finale der Champions League erreicht. Da war man sich schnell einig, wieder einmal das alte, ein „außergewöhnliches Milan“ (Capello) gesehen zu haben.

Nur einer hat die Lobeshymne verweigert. Arsène Wenger, Trainer der unterlegenen Monegassen, hat den Kopf geschüttelt und gesagt: „Sie haben auch Glück gehabt.“ Nicht daß der Elsässer ein schlechter Verlierer sein mochte, nur befand er: „Ich glaube nicht, daß das ein perfektes Spiel von Milan war.“ Darüber kann man tatsächlich trefflichst streiten.

Milan spielte seinen Fußball, den man, wollte man die Sache negativ angehen, langweilig heißen könnte, aber langweilig auf dem höchstmöglichen Niveau. Die Magie Milans ist der Erfolg, und dessen Rezept heißt Organisation. „Unser Spiel“, hat Fabio Capello gesagt, und genau das hat ihn froh gestimmt, „war wunderschön organisiert.“ Marcel Desailly, der 24jährige Mann aus Marseille, exemplifiziert Milan: Physisch stark, technisch solide, aber mit überragender Effizienz, gab er eine perfekte Interpretation der Rijkaard- Rolle.

Beim FC Nantes spielte er noch bisweilen unauffällig, in Marseille fiel er durch gute Leistungen in der Champions League auf, nun hat er eine sehr hohe Qualifikationsstufe erklommen. Und der Grund ist Milan: „Wir arbeiten sehr viel im taktischen Bereich“, hat er gesagt, „eigentlich die ganze Zeit.“ Taktik ist Fehlervermeidung, und genau darin ist der AC Mailand außergewöhnlich.

Der AS Monaco nicht, bei Desaillys frühem Kofballtor bequemte sich der altgediente Ettori (35) nicht aus seinem Tor heraus. Und damit war das Spiel schon nach 14 Minuten entschieden, da Milan bekanntlich und laut Statistik keine Treffer kassiert. Allerdings üblicherweise auch nur selten welche schießt. „Man hat während des gesamten Europapokals gesehen“, hat Wenger gesagt, „daß Mailand damit Schwierigkeiten hat.“ Die „Außergewöhnlichkeit, wenn's ums Angreifen ging“, die Capello seinen „tüchtigen Jungs“ attestierte, hat der Elsässer „Glück“ genannt. Dann hat er noch mal darüber nachgedacht und einschränkend gesagt: „Nicht nur Glück, man weiß, daß Albertini Freistöße schießen kann.“ Solche wie beim 2:0, als Boban täuschte, kurz zum Jungstar rüberschob und jener in den Winkel traf.

Auch Monaco hatte Chancen, drei davon waren sehr gute, etwa als Jürgen Klinsmann, der es „als einzige Spitze schwer hatte“, (Wenger) recht unbedrängt über das Tor köpfte. Das waren die Situationen, in denen Wenger „Milan in Schwierigkeiten“ sah. Wenn das wahr ist, dann besteht das Problem hauptsächlich darin, daß Monaco nicht einmal ein richtiger europäischer Spitzenclub ist. Dazu fehlt Wesentliches: Zwar saßen die männlichen Grimaldis vollzählig auf der Tribüne, aber sonst war kaum jemand aus Monte Carlo da, wie auch, die meisten Leute dort haben anderes zu tun. Zum letzten Mal Meister war man vor sechs Jahren, derzeit ist das Team allerhöchstens Mittelmaß. Dennoch drei Chancen herausgespielt, demnach, schlußfolgerte Wenger, war Milan „heute schlagbar.“

Nicht von seinem Team, aber vielleicht am 18. Mai in Athen von Johan Cruyffs FC Barcelona. Vorne will man dann die Quote vom Mittwoch wiederholen: Sechsmal haben die Mailänder versucht, einen Treffer zu erzielen, dabei fünfmal das und dreimal ins monegassische Tor getroffen. Wenn Fabio Capello jetzt auch noch einstudieren könnte, wann, wie und von wem in Athen das Tor gegen Barcelona geschossen wird: Das wäre tatsächlich und unbezweifelbar die totale Perfektion.

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