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Zeitverschwendung -betr.: "Wegbereiter des Holocaust", taz vom 23.4.94

Betr.: „Wegbereiter des Holocaust“, 23.4.94

Veit Harlan gilt (zusammen mit Leni Riefenstahl) als Symbolfigur deutschen Filmschaffens im Nationalsozialismus. Die Dämonisierung des Veit Harlan, die der Artikel auf subtile Weise fortsetzt, hilft leider nur den Ungeist zu konservieren, betreibt den untauglichen Versuch, Nazifilme endzulagern. „Jud Süß“ (1940) ist keineswegs ein primitiver, von Antisemitismus strotzender Propagandafilm; darin liegt ja das Problem.

Herr Marek, analysieren Sie doch mal genau, wie die Hetze dieses Films „funktioniert“: Süss Oppenheimer (F. Marian) wird hingerichtet, der Herzog Karl Alexander (H. George) stirbt; Vergewaltigung und Tod der jungfräulichen Dorothea Sturm (K. Söderbaum) sind somit gerächt. Bleibt der junge Faber (M. Jaeger), der geprellte Mann Dorotheas: Er stellt die Figur dar, in der sich junge SA-, SS-Leute und Hitlerjugend wiederfinden können, und er erfährt im Film keinerlei Genugtuung. Das holte dann der braune Mob auf der Straße nach.

Viele heutige Filme transportieren verdeckt faschistisches Gedankengut (z.B. „Terminator“), die Sportberichterstattung zehrt munter von Riefenstahlscher Ästhetik. Um dies aufzeigen zu können, ist es dringend notwendig, sich mit den Produkten der Nazikünstler auseinanderzusetzen; Lamentieren über tendenziöse Gerichtsurteile ist Zeitverschwendung.

Die von den Nazis verjagten oder ermordeten jüdischen Filmschaffenden haben eine gewaltige kulturelle Lücke hinterlassen. Sie ist so groß, daß deutsche Filme bis heute zu internationaler Bedeutungslosigkeit herabgesunken sind. Diese Zusammenhänge scheinen Ihnen nicht klar zu sein, Herr Marek. Bedauerlich.

Ralf Thiele

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