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Der Griff nach den Sternen

■ Fehlinformation, Diskriminierung und mangelndes Selbstbewußtsein: Für junge Migrantinnen wird die Berufswahl oft zum Hindernis

Eine Ermunterung, die not tut: „Greif doch mal nach den Sternen!“, versucht Aysen Richter die Mädchen zu ermutigen, die sie in ihrer Beratungsstelle aufsuchen. Es sind junge Migrantinnen, die beim Altonaer Verein INCI (Internationale Cultur und Information für Frauen) Rat bei ihrer Berufswahl suchen. Und daß sie bei der Suche nach einer adäquaten Ausbildung Unterstützung brauchen, belegen alle Untersuchungen deutlich. Laut Senatsamt für die Gleichstellung sind die jungen Ausländerinnen auf dem Hamburger Arbeitsmarkt „die am stärksten benachteiligte Gruppe“.

Knapp 380 Ausbildungsberufe stehen jungen Menschen in Hamburg offen – nur zehn verschiedene Jobs sind es allerdings, die über die Hälfte der Migrantinnen schließlich wählen. 1417 der ausländischen Mädchen in der Hansestadt verfügen über einen Ausbildungsvertrag, das sind ganze 3,7 Prozent von allen Hamburger Jugendlichen. Ob Friseurin oder Schneiderin, Verkäuferin oder Arzthelferin, die jungen Frauen lassen sich in Berufen ausbilden, die nicht nur schlecht bezahlt, sondern auch ohne Aufstiegschancen sind.

Nicht etwa, weil sie für andere Jobs zu dumm wären. „Die Mädchen haben generell bessere Schulabschlüsse als die Jungen“, betont Christiane Wilkening vom Senatsamt. Ein Wald von Hindernissen ist es vielmehr, der sich ihnen in den Weg stellt: Eine Mixtur aus Fehlinformationen, Unkenntnis, Diskriminierung und mangelndem Selbstbewußtsein.

„Kaum eine, die zu INCI kommt, kennt mehr als sieben Ausbildungsberufe“, sagt Aysen Richter. Kein Zufall. Denn auch Margarida Arnedo hat in ihrer Harburger Beratungsstelle BAMBA die Erfahrung gemacht, daß jungen Ausländerinnen in der Schule und im Arbeitsamt ausschließlich Ausbildungen als Pflegehelferin, Friseurin oder Damenschneiderin empfohlen werden.

Die immer wiederkehrende Begründung: „Dein Deutsch ist für was anderes zu schlecht.“ Eine Behauptung, der Christiane Wilkening, Margarida Arnedo und Aysen Richter energisch entgegentreten. „Wir erleben vielmehr, daß sich keiner die Mühe macht, die Fähigkeiten der Mädchen genauer zu erkunden.“ Daß die Migrantinnen zweisprachig aufgewachsen sind, sich in zwei Kulturkreisen auskennen, zählt für Arbeitsvermittler offenbar wenig. Bei der Ausbildung im Krankenhaus aber sehr wohl, wie Aysen Richter weiß. „Da werden die Mädchen gerne mal bei Verständigungsproblemen als Dolmetscherin benutzt.“

Das Selbstbewußtsein der jungen Frauen zu stärken und das Interesse für höher qualifizierte Berufe zu wecken, bemühen sich in Hamburg die fünf Frauen-Projekte INCI, BAMBA, AIZAN, ELLA und Zahnrad. Sie bieten auch ausbildungsvorbereitende und -begleitende Hilfen an. Wie lange noch, ist allerdings ungewiß. Die Schulbehörde hat bereits angekündigt, das Geld für die Qualifizierungshilfe von INCI für Migrantinnen in Assistenzberufen im kommenden Jahr einzusparen.

Sannah Koch

INCI, Zeißstr. 22-28, Tel: 39 58 47; AIZAN, Wohlwillstr. 55, Tel.: 43 60 54; BAMBA, Schwarzenbergstr. 85, Tel.: 765 57 05; ELLA, Legienstr. 45, Tel.: 732 46 29; Zahnrad, Manshardstr. 105e, Tel.: 651 10 13

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