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Revolution von oben

Wer noch Arbeit hat, darf die Zukunft genießen: Gruppendynamik, Selbstbestimmung und Phantasie sind in  ■ Von Reinhard Kahl

Die Entscheidungen und das Geld an die Basis geben!“ Wo haben wir das nur gelesen? Die Spur führt nach Wolfsburg. Hört sich an nach Rote Zelle VW. 1969 vielleicht? Stimmt aber nicht. „Wir werden die Entscheidungen und das Geld an die Basis geben“, das sagte vor einigen Wochen VW- Boß Ferdinand Piäch.

Nicht nur der López im Schafsfell mischt die Wolfsburg auf. Das ganze Rudel in den oberen Käfigen heult. Und die Herde in den Hallen wundert sich. Sie hört, daß sie, bitte sehr, keine Herde mehr sein solle, und liest in Vorstandsmitteilungen, was einst auf Kassibern stand, die vorm Werkstor verteilt und drinnen geahndet wurden. Jetzt sagt Ferdinand Piäch: „Wir ganz oben an der Konzernspitze werden nur dafür sorgen, daß die Leute unten nicht daran gehindert werden, das in Ordnung zu bringen, was wir bisher falsch gemacht haben.“ Wie bitte?

Wir hören aus dem uns vertrauten Lager die schnellen, bekannten Antworten. Das sei doch nur Rhetorik. Oder: Das sei ja nun die allerletzte List des Kapitals zur Ausbeutung der Arbeitskraft. „Der Mensch ist Mittelpunkt“, rufen neuerdings und fast unisono die Manager. Viele denken dabei immer noch in ihrer alten Grammatik: „Der Mensch ist Mittel. Punkt. Basta.“ Das war und ist die gnadenlose Moral der industriellen Moderne, die vernichtet, was nicht in die Rabatten ihres Nutzens paßt. Erinnern wir aber auch die Marx- geschulten Bescheidwisser an die Kapitalanalyse: Im Kapitalismus selbst wächst seine Überwindung heran und eben nicht in den Bärten der Revolutionäre. Wenn derzeit allerorten das Management feststellt, die Technik sei ausgereizt, und sich aufmacht, die „Ressource Mensch“ zu entdecken, dann beginnt eine Phase voller Dialektik.

Peter Haase, Chef der Personalentwicklung von VW, rechnet vor, daß die Produktivität am steilsten steigt, wenn nicht bloß bisherige Einzelarbeit neuerdings in Gruppen verrichtet wird, sondern wenn tatsächlich Gruppenarbeit gewagt wird. Die ist allerdings auch bei VW noch selten. Peter Haase will „hierarchische durch symmetrische Strukturen ersetzen“ und nennt das Ganze „Kulturrevolution“. Die Motive von Piäch, López und Haase sind gewiß andere als die Anno 68. Immerhin, das Lob der Basis klingt vertraut. Ähnlich ist auch, daß eine Avantgarde der Basis ihre Anträge macht. Diesmal hat die Avantgarde allerdings Macht und auf völlig neue Art Angst, etwas zu verlieren.

Für Peter Haase ist die Ablösung der steilen Vertikale in der Hierarchie durch eine vielfältig vernetzte Horizontale ein Sachzwang, „sonst läuft bei VW irgendwann gar nichts mehr“. So ist die sogenannte Halbwertszeit des Wissens von VW-Ingenieuren, die hauptsächlich mit Mikroelektronik zu tun haben, auf eine Frist unter zwei Jahren geschrumpft. Die alte Pose des herrischen Besserwissers, der bei anderen auf Fehlerjagd ging, um seine Position zu verbessern, hat ihre Aura längst verloren. Die Symbiose von Wissen und Macht, der historische Kompromiß des sozialdemokratischen Zeitalters zerfällt.

Wissensegoisten und Einzelkämpfer, Kommunikationsbehinderte, Autisten, Rechthaber und Machthaber, das sind Insignien einer Psychostruktur, in die sich das gealterte abendländische Ego verpuppt hat. In Unternehmen nun prallen alte Struktur und neue Realitäten aufeinander wie derzeit nirgendwo in der Gesellschaft sonst. Was könnte ausschlüpfen, wenn der Kokon geknackt wird? Warum suchen so wenige der Recken von 68 das Bündnis mit den Innovationsmanagern der 90er?

VW ändert jetzt die Berufsausbildung: Jugendliche arbeiten neuerdings an Sechsecktischen. Sie sollen zueinander Blickkontakt halten. Kein Ausbilder blickt ihnen von hinten über die Schulter und sucht nach Fehlern. Die sechs am fast runden Tisch sollen Selbstvertrauen üben und ihrer Wahrnehmung trauen. Sie sollen sich trauen, damit sie sich schließlich etwas zutrauen und was wagen. Berufsausbildung wird jetzt wie ein Initiationsritual eingeleitet. Frühere Ausbildung, monatelang feilen, ein Millimeter zu wenig, und alles war Schrott, das war auch ein Initiationsritus, einer der Demoralisierung. Das war symbolischer Klassenkampf. Der rechnet sich nicht mehr. Keine Revolution droht von unten. Die Basis ist nicht aufmüpfig, sie wirkt eher erloschen. Deshalb beginnt die Wacker Chemie in München die Berufsausbildung mit mehrtägigen Kunstprojekten.

Manager indessen lassen sich im Grand Hotel „Frankfurter Hof“ vom Bamberger Philosophen Walter Zimmerli über künstliche Intelligenz und menschliche Kreativität vortragen. Am Ende empfiehlt der Philosoph den Wirtschaftskapitänen: „Lesen Sie Lyrik! Lyrik hilft, festgefahrene Denkrahmen aufzubrechen.“ Vor 25 Jahren zogen antiautoritäre Studenten an den Fenstern des Grand Hotels, in dem jetzt die Manager tagen, vorbei und skandierten: „Grand Hotel Abgrund“ und „Brecht den Autoritären ihre Gräten – Alle Macht den Räten“.

Nun wird die Revolution von den Intimfeinden der antiautoritären Rebellen von damals entworfen. „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Wilhelm Buschs lapidare Geschichtsphilosophie ist der Marx-Hegelschen Dialektik offenbar überlegen.

Die alte Moral des Perfektionismus kracht und bricht. Und es entsteht Neues. Ein Beispiel: In Kiederich, Rheingau, sinnt Jürgen Fuchs in der Informatik- und Beratungsfirma Ploenzke über die Philosophie der mehr als tausend Leute starken Firma nach. „Wenn jemand etwas gut kann, dann soll er das Team wechseln und wieder als Anfänger in ein anderes Team einsteigen.“ Das ist das Motto eines Unternehmens, das sich als lernende Organisation versteht: „Immer wieder Anfänger werden, das aber auf immer höherem Niveau. „Führen“ wird übrigens in dieser Firma nicht besser bezahlt als „Ausführen“.

Die Ressourcen Phantasie und Kreativität lassen sich nur dann aktivieren, wenn sie nicht, wie die Arbeitskraft bisher, ausgebeutet werden. Diese subjektiven Kräfte regen sich nur, wenn Menschen nicht als Objekte behandelt werden, wenn sie nicht zum Instrument gemacht werden, wie ein Werkzeug in der Hand anderer, sondern wie ein Musikinstrument. Das kommt nur dann zum Klingen, wenn es auf sich selbst gestimmt ist. Das ist ein Vorhaben voller Brisanz.

Immer wieder etwas anderes anfangen, das ist wie das Programm zur permanenten Wiedergeburt. Ohne Fehlertoleranz, ohne freundlich wachende Aufmerksamkeit kann dieses „stirb und werde“ nicht gelingen. Unternehmen, die im Wettbewerb überlegen sein wollen, können die Menschen nicht mehr wie Aufziehpuppen behandeln.

Künftige Hierarchien stellt sich Jürgen Fuchs vor wie die Eins in der Choreographie eines Kranichschwarms. „Die Führungskraft fliegt vorne. Sie muß die Luft durchpressen. Und nach 20 Minuten machen die Kraniche Job-Rotation. Dann läßt sich die Führungskraft ins Glied zurückfallen. Nach zehn oder zwanzig Wechseln ist sie wieder vorne.“

So hat Jürgen Fuchs es jetzt auch gemacht. Nachdem er viele Jahre Geschäftsführer war, fliegt er in der zweiten Reihe und denkt darüber nach, wie wir es schaffen, auf dem Mensch-Maschine- Tandem des Industriezeitalters umzusatteln. Bisher saß die Maschine vorne und gab den Takt, der Mensch war Anhängsel. Nun müssen wir auf dem Tandem nach vorn umsteigen. Deshalb ist der derzeitige Übergang nicht nur krisenhaft, er ist vor allem spannend.

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