: Das Wochenende ist nicht mehr heilig
■ Jeder zweite muß gelegentlich samstags oder sonntags arbeiten
Wirtschaftsminister Günter Rexrodt hat sich mit dem neuen Arbeitszeitgesetz durchgesetzt: Sonntagsarbeit muß bewilligt werden, wenn gegenüber dem Ausland „die Konkurrenzfähigkeit unzumutbar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann“. Mit der neuen Regelung setzt die Bundesregierung den Trend fort, daß immer mehr Beschäftigte am Wochenende zur Arbeit antreten müssen.
Das neue Gesetz wird insbesondere Auswirkungen auf das produzierende Gewerbe haben. Denn hier vor allem galt das Verbot der Sonntagsarbeit. Jetzt kann sie angeordnet werden, um besonders produktionsintensive Zeiten abzudecken.
In anderen Sektoren ist die Sonntagsarbeit schon längst gang und gäbe. Im Dienstleistungsbereich kellnern, pflegen und chauffieren immer mehr Angestellte auch am Wochenende. Nach den Erhebungen im sozioökonomischen Panel aus dem Jahre 1990 arbeiten von den voll erwerbstätigen Westdeutschen immerhin 23 Prozent am Sonntag. Davon sind 22 Prozent jede Woche, 29 Prozent alle zwei Wochen und die Hälfte seltener am Sonntag tätig.
Mehr noch als die Sonntags- aber habe die Samstagsarbeit zugenommen, hat der Soziologe Manfred Garhammer festgestellt, der an der Uni Bamberg die Auswirkungen von Arbeitszeiten auf den Alltag erforscht. Rund die Hälfte der Vollzeit-Erwerbstätigen ackert auch am Samstag, davon ein Drittel jede Woche und ein Viertel alle zwei Wochen. Besonders häufig plagen sich Freiberufler und Selbständige an den offiziellen Ruhetagen.
Besonders unbeliebt: der Samstagabend. Am Sonntag dagegen und besonders auch am Samstagvormittag werden Dienste noch einigermaßen bereitwillig akzeptiert, hat Garhammer herausgefunden. Das Entscheidende dabei: Die Arbeit darf nicht jedes Wochenende anfallen. Wer nur einmal im Monat am Samstag Dienst tun muß, hat damit so gut wie keine Probleme. Zweimal im Monat am Samstag schubbern aber ist der „Schwellenwert“. Müssen die Beschäftigten häufiger am Samstag antreten, wird die Wochenendarbeit unerträglich. Dann leiden die Familie und der Freundeskreis.
Private Besuche aber gehören zur liebsten Freizeitbeschäftigung der Deutschen, so Garhammer. Erst danach folgt der Besuch von Sport- und Kulturveranstaltungen. Freie Tage unter der Woche gleichen den Verlust von Wochenendfreizeit nicht aus: An freien Werktagen gehen die Befragten eher mal zum Arzt, zur Behörde oder zum Einkaufen, als sich mit Familie oder Freunden zu treffen.
Das freie Wochenende garantiert einen regelmäßigen kollektiven Rhythmus zwischen Arbeit und Freizeit. In der Geschichte der Arbeitszeit wurden damit schon einschlägige Erfahrungen gemacht. So führte das Stalin-Regime 1929 eine Viertagewoche mit einem Ruhetag ein – im rollierenden System allerdings, so daß sich nicht alle am gleichen Tag erholen konnten.
Die Folgen beschreibt der Essayist Witold Rybczynski: „Da jeder nach einem anderen Zeitplan arbeitete, konnten Familien und Freunde nur selten einen gemeinsamen freien Tag genießen. Aufseher und Betriebsleiter waren gezwungen, an vielen ihrer freien Tage zu arbeiten, damit die Konferenzen der leitenden Funktionäre und der Ausschüsse überhaupt stattfinden konnten. Schulen, Banken und Verwaltungsbüros wurden allmählich desorganisiert, denn niemals waren alle Mitglieder ihrer Belegschaft zu sehen.“ Nach drei Jahren wurde das Modell abgeschafft und jeder sechste Tag zum allgemeinen öffentlichen Feiertag erklärt.
Schon 1914 hatte die britische Industrie vorübergehend die Sonntagsarbeit eingeführt, um in Kriegszeiten die Produktion zu steigern. Die Arbeitszeiten wurden verlängert und Überstunden angesetzt. Das Ergebnis: Die Leistungsfähigkeit der Belegschaften verminderte sich, es sank sogar zur großen Überraschung die Gesamtproduktion. Kurze Zeit später führte man wieder den freien Sonntag ein und verkürzte die tägliche Arbeitszeit – die Gesamtleistung nahm wieder zu.
Nicht nur die Arbeit, auch die Freizeit ist wichtig für die Produktivität – und nicht nur dafür. Der Gewerkschaftsgegner Henry Ford führte noch aus einem anderen Grund 1926 die Fünftagewoche mit dem freien Samstag ein: Er wollte mit dem längeren Wochenende die Lust an Ausflügen steigern und damit den Anreiz für den Kauf eines eigenen Wagens. Barbara Dribbusch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen