■ Standbild: Historie im Sex-Salon
„Meine Oma hatte einen Nazi-Puff“, Sa., 12.30 Uhr, West 3
Der Titel klingt reißerisch, und die ersten Bilder verheißen wenig Gutes: eine Phalanx unbekleideter Frauen, von NS-Schergen wie Vieh begutachtet und abkommandiert, um im Auftrag des Führers der Prostitution nachzugehen. Die Szene ist fiktiv, sie stammt, so verrät die Einblendung, aus dem Kinofilm „Doppelspiel“. Doch das Etablissement der Kitty Zammit- Schmidt, den „Salon Kitty“, der 1975 auch Skandalregisseur Tinto Brass Stoff und Titel für eine wüste Sexkolportage lieferte, hat es tatsächlich gegeben. Rosa von Praunheim stieß bei den Recherchen zu seinem Film „Anita – Tänze des Lasters“ auf die Lokalität, deren imposante Geschichte er in seiner 45minütigen Dokumentation nachzuzeichnen versucht, sachlich, um Genauigkeit bemüht und keineswegs so spekulativ, wie die ersten Bilder vermuten ließen.
Zahlreiche Legenden ranken sich um das ehemalige Bordell in der Berliner Giesebrechtstraße, das nach dem Krieg als Künstlerpension und in jüngster Zeit der Unterbringung von Asylbewerbern diente. Daß die Nationalsozialisten Kitty Zammit-Schmidt zwangen, Hitler-treue Spioninnen als Dirnen einzusetzen, daß sie die Räumlichkeiten mit Mikrophonen spickten, um intimes Geplauder ausländischer Diplomaten abzuhören, sind Gerüchte, denen von Praunheim aufmerksam nachgeht. Er entmythisiert dieses Kapitel, indem er die vorgetragenen Mutmaßungen und Fakten knapp montiert und Widersprüche herausarbeitet.
Mehr noch als technische Details aber interessieren den Filmemacher die Menschen, die in jenen Räumlichkeiten lebten, schillernde Figuren wie die Begründerin des Salons und deren Tochter Kathleen, eine Tänzerin; tragische Gestalten wie der Enkel, der vaterlos blieb, im amourösen Milieu eine ungewöhnliche Jugend verbrachte und dies lange nicht verwandt.
„Wenn ich ein Theaterstück schreiben könnte, müßte man ein Stück in der Art von Tennessee Williams schreiben“, sagt der Schauspieler Ernst Stankowski, der in den fünfziger Jahren, wie Erich Kästner, Johannes Heesters und viele andere, Gast des Hauses war und im großen Salon noch das Trapez vorfindet, an dem er sich einst ertüchtigte. Viele Künstler haben sich von dieser Kulisse bereits inspirieren lassen. Rosa von Praunheim wird nicht der letzte gewesen sein. Harald Keller
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen