Radiodays

„Was wäre wenn...“ ist natürlich der Traumstart per se für eine literarische Realitätsflucht. Wer also den Tod Albert Camus vor 34 Jahren auch heute noch ungern hinnimmt, wird an Walter Aues Auferweckung Camus der Radiokörper sicher seine Freude haben.

In existentialistisch-filmischer Manier macht Aues Camus sich nach dem physischen Ableben aus dem Staub, um endlich mal authentisch zu sein, ein nicht mehr öffentlicher Mensch. Diesen Trick zieht der Autor aus des Meisters Ärmel. Denn vom Krieg gegen sich selbst zeugt Camus Tagebuch der letzten Monate: „Ich werde mich entweder vernichten oder auferstehen.“ So gesehen läßt sich der 1960 geplatzte Autoreifen auch als rettender Zufall lesen.

Jenseits des Lebens ist Camus ein wahrhaft freier Geist. Im Gegensatz zum „Erstgeborenen“ genießt der „Albert Zwo“ die Wirklichkeit unengagiert-abstrakt, rein sinnlich und poetisch. Der Tod ist längst kein Thema mehr. Dafür das immer schon geliebte Licht: Sonne als Projektor für Schattenspiele der Wirklichkeit. Auch die Sinnlosigkeit menschlichen Tuns ist kein Einwand mehr gegen das Leben, derart prallvoll ist es an Sinnlichkeit und Erinnerung (diese Reaktion auf in Tee getauchte Madelaines...).

Als Korrelat des verstorbenen großen Geistes will diese gelungene Verschmelzung von tagebüchener Wirklichkeit und Hypothese „den Camus in uns“ erwecken. Und der sitzt als glücklicher Weltflüchtling vor seinem „Amstel“-Bier: 79jährig und versunken in Beckettscher Liebe zum abgelatschten Schuhwerk. Dazu müssen wir uns „Sisyphus“ von Pink Floyd vorstellen. Camus revisited and resurrected: ein schöner Versuch mit kleinen Schönheitsfehlern, die man einem wirklich Liebenden gerne nachsieht.

heute, 15.35 Uhr, Deutschlandradio-Berlin. GeHa