Trenchcoat-Guerilla

■ Ein Senator streift durchs Karo-Viertel Von Uli Exner

Vielleicht hätten sie doch jener Strategie folgen sollen, die dereinst Che Guevara ausgab, und die an diesem Morgen auch Senator Dr. Thomas Mirow empfiehlt: Kleingruppen bilden, nicht im geschlossenen Trenchcoat-Block durchs feindliche Territorium ziehen. Vielleicht hätten die 30 Amtsleiter, Sachbearbeiter, Bezirksabgeordneten, Journalisten dann nicht solch ein prima Ziel abgegeben auf ihrem Streifzug durchs Karo-Viertel. So aber können die Farbeier, so blindwütig sie auch geworfen sein mögen, nur treffen: Den Stadtentwicklungssenator, den Sanierungsbeauftragten, den Mopo-Redakteur, allesamt vom Bezirksamt Mitte eingeladen, sich ein Bild zu machen vom „Sozialen Brennpunkt“ St. Pauli Nord/Karolinenviertel.

Überdurchschnittlich: der Anteil an Erwerbstätigen mit niedrigem Einkommen, die Arbeitslosenquote, der Ausländer-Anteil, die Verkehrs-Belastung, der Grad der Überbelegung von Wohnungen. Sind das die Ursachen für die Attacke der wenigen dunklen Kutten gegen die hellen Trenchcoats, den Mirow später als „unangenehm, überflüssig, eine Generation jünger würde man sagen - ätzend“ bezeichnet? Vielleicht begründet aber auch ein anderes Ergebnis der von der Stadtentwicklungsgesesellschaft erarbeiteten „Bestandsaufnahme Karolinenviertel“, warum Mirow und Co. hier mißtrauische Blicke, Spott, schließlich auch Farbeier statt Sympathien entgegenfliegen: „... insbesondere der überproportional hohe Anteil städtischer Wohnungen im Gebiet befindet sich wegen langanhaltender Planungsunsicherheit und jahrzehntelangem Instandsetzungsstau in einem schlechten, zum Teil desolaten Zustand.“

Nein. Mirow vergräbt seine Hände noch tiefer in den Taschen, „wir sind nicht festgelegt, wir werden das nicht allein entscheiden.“ Am Ölmühlenplatz versucht Mirow, die Hände tief in den Taschen vergraben, jenen Befürchtungen entgegenzutreten, daß die Trenchcoat-Abteilung Entscheidungen nicht nur zu lange vor sich herschiebt, sondern im Zweifelsfall auch gegen jene Anwohner trifft, die auf Transparenten einen kleinen Park fordern. Prophylaktisch hat man schon mal einen winzigen Teich gebuddelt und Bäumchen angepflanzt. Selbsthilfe. Und Stiefmütterchen. Es gibt Inseln im Karo-Viertel, da sind beide willkommen. Kutten und Trenchcoats. Guerilla-Taktik ist dort nicht erforderlich, wo staatlich geförderte Projekte und private Initiativen gegen die Verwahrlosung des Quartiers arbeiten.

Das Büro der Sozialarbeiter, die Begegnungsstätte des Roten Kreuzes, der Roma-Club gleich gegenüber, die Arbeitsgemeinschaft Karolinenviertel. Mirows Troß wird von einem Sozial-Dienstleister zum anderen geschleust. Geflissentlich erbringen deren Leiter mündliche Leistungsnachweise, berichten eilig - die Zeit drängt - über ihre Arbeit und verhelfen dem Senator allen Farbeiern zum Trotz zu der Überzeugung, „daß man nicht sagen kann, es passiere nichts in diesem Viertel“.