: Von den Angeklagten geht „soziale Kälte“ aus
■ Im Solinger Mordprozeß verändert sich die Tonlage / Nebenklage hält Schilderung des geständigen Markus G. „für zutreffend“ / Neues über rechtsextreme Verbindungen
Düsseldorf (taz) – Nach dem vorläufigen Abschluß der Vernehmung der vier Angeklagten im Solinger Mordprozeß haben gestern die Angehörigen der Brandopfer über ihre Anwälte erklärt, es bestehe für sie „kein Zweifel daran“, daß der einzige geständige Angeklagte, der 24jährige Markus Gartmann, „das Tatgeschehen im Kernbereich zutreffend geschildert hat“. Äußerst widersprüchlich wertete Rechtsanwalt Adnan M. Erdal dagegen das Aussageverhalten der drei Mitangeklagten. Es sei jetzt an der Zeit, so Erdal mit Blick auf die Anklagebank, „das bisherige Aussageverhalten zu überprüfen“. Von den die Tat bestreitenden Angeklagten gehe eine „soziale Kälte“ aus, die sich immer wieder in ironischen Gesten während der Verhandlung äußere. Zudem habe außer dem geständigen Gartmann keiner der Angeklagten auch nur mit einem einzigen Wort – unabhängig von der Tatbeteiligung – zum Ausdruck gebracht, daß „die fünf Menschen, die zum Teil bei lebendigem Leibe verbrannt sind, ihnen leid tun“.
Den Antrag des Nebenklagevertreters Reinhard Schön, die Eltern des 16jährigen Felix K. vom Prozeß auszuschließen, lehnte das Gericht ab. Aus den Akten ergebe sich der Verdacht, so hatte Schön seinen Antrag begründet, daß die als engagierte Umweltschützer und linke Friedensaktivisten in Solingen bekannten Eltern „auf Beweismittel dieses Verfahrens einzuwirken“ versucht hätten. Damit spielte Schön auf ein Treffen zwischen dem Vater von Felix K. und dem Zeugen Karsten H. an, der drei der vier Angeklagten zunächst ein später widerrufenes Alibi gegeben hatte. Von einer Beweisvereitelungsabsicht, befand das Gericht, könne jedoch keine Rede sein.
Zuvor hatte Marianne K. geschildert, daß sie und ihr Mann nach der Verhaftung ihres Sohnes niemals die Absicht gehabt hätten, „irgend etwas zu verschleiern“. Sie seien fest entschlossen gewesen, ihren Sohn im Falle einer Tatbeteiligung zu einem Geständnis zu bewegen. Man habe ihm deshalb bei einem Gespräch im Gefängnis unter sechs Augen „den roten Teppich ausgerollt, um ihm ein Geständnis zu erleichtern“. Doch ihr Sohn habe immer nur beteuert, nicht zu den Tätern zu gehören.
Zusätzlichen Aufklärungsbedarf über die Hintergründe der Tat sieht Rechtsanwalt Schön in bezug auf die Solinger Kampfsportschule Hak Pao, die drei der vier Angeklagten besuchten. Nach einem Bericht des Solinger Tageblatts belegen umfangreiche Aktenfunde, daß die Verbindung dieser Schule zu der rechtsextremen Szene weit über die bekannten Verbindungsstränge hinausreichte. Das dämmert inzwischen offenbar auch den Ermittlungsbehörden. Kurz nach dem mörderischen Brandanschlag hatte ein unbeteiligter Zeuge beobachtet, wie aus den Räumen der von Bernd Schmitt geleiteten Schule kistenweise Material abtransportiert worden war. Doch die sofort benachrichtigte Polizei ließ die Wagen mit den Akten passieren.
Ein halbes Jahr später entdeckten die Ermittler dann in einem Solinger Kellerraum von Verwandten des Hak-Pao-Chefs 55.000 Aktenblätter, die einen tiefen Einblick in den von Schmitt gegründeten „Deutschen Hochleistungs- Kampfkunstverband“ (DHKKV) gestatten. Neben Propagandamaterial und verschlüsselten Listen mit rund 450 Mitgliedsnamen fielen der Polizei detaillierte Observationsprotokolle, Handzettelaufrufe zum Bau von Molotowcocktails und Hinweise auf Geldgeber in die Hände. Lageskizzen von hauptsächlich von Ausländern bewohnten Häusern in Bonn, Köln und Wuppertal gehörten ebenso zu dem Fund. Inzwischen ermittelt die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft gegen den DHKKV wegen Unterstützung verbotener Organisationen. Konkrete Hinweise auf den Solinger Mordanschlag ergeben sich aus den beschlagnahmten Akten, die auch der Bundesanwaltschaft bekannt sind, nach Angaben der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft aber nicht.
Drei der vier vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht angeklagten jungen Männer haben in der Kampfsportschule trainiert. Freitags trafen sich dort Alt- und Neonazis aus ganz NRW. Eine „Deutsche Kampfsportinitiative“ (DKI), ein „Zusammenschluß patriotisch denkender Kampfsportler“, übte sich im Nahkampf. Der 20jährige Angeklagte Christian B. gehörte der DKI als aktives Mitglied an. Als Besonderheit hielt B. in seinem Tagebuch fest, daß freitags immer „kanakenfreies Training“ stattfinde. Auch Felix K. (16) machte eine Zeitlang beim Training „nur für Deutsche“ mit. Markus G. war an den Freitagstreffen seiner Aussage nach nur zweimal beteiligt. Daß Schmitt den harten Kern der Freitagsgruppe rechtsextremen Organisationen wie der Deutschen Liga und der inzwischen verbotenen Nationalistischen Front als Saalschutz zur Verfügung stellte, war schon vor dem Aktenfund öffentlich bekannt.
Warnungen vor Schmitt gingen auch dem Stadtsportamt in Solingen zu. So schrieb der Düsseldorfer Kampfsportexperte und Sportjournalist Klaus-Dieter Weber dem Stadtsportamt am 24. 6. 1992, daß Schmitt in seiner Schule Personen aus der rechtsextremen Szene trainiere und deshalb aus dem internationalen Kampfsportverband Muay-Thai rausgeflogen sei. Schmitt schütze mit seinen Schülern, so warnte Weber ein Jahr vor dem mörderischen Brandanschlag, politische Gruppen, deren Ziel die „Vernichtung von Ausländern in Deutschland ist“. Walter Jakobs
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